07 - Asche zu Asche
ins Gesicht. Doch er konnte den Ausdruck ihrer Augen, die hinter den dunklen Gläsern verborgen waren, nicht ausmachen.
»Warum?« fragte sie.
»Weil es tatsächlich so aussieht, als sei Kenneth Fleming ermordet worden.«
»Aber Sie sagten doch, es sei eine Zigarette gewesen. Im Lehnstuhl.«
»Ja. Das habe ich gesagt. Existieren noch weitere Schlüssel?«
»Die Leute haben diesen Mann geliebt. Geliebt, Inspector!«
»Aber vielleicht nicht alle. Gibt es noch andere Schlüssel, Mrs. Whitelaw?«
Sie drückte die Finger an die Stirn und schien über die Frage nachzudenken; und daß sie erst darüber nachdenken mußte, schien Lynley auf eine von zwei Möglichkeiten hinzudeuten: Entweder glaubte sie, ihre Antwort würde anzeigen, daß sie Lynleys Theorie akzeptierte - daß nämlich jemand Kenneth Fleming genug gehaßt hatte, um ihn zu ermorden. Oder aber sie wollte nur Zeit gewinnen, um sich zu überlegen, was ihre Antwort möglicherweise offenbart.
»Gibt es weitere Schlüssel?« fragte Lynley wieder.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie schwach.
» Eigentlich nicht? Entweder gibt es welche, oder es gibt keine.«
»Niemand hat sie«, erklärte sie.
»Aber es gibt sie. Wo sind sie?«
Sie drehte den Kopf in Richtung Garage. »Im Geräteschuppen liegt immer ein Schlüssel zur Küchentür. Unter einem Keramiktopf.«
Lynley und die anderen blickten in die Richtung, die sie angezeigt hatte. Ein Geräteschuppen war da nirgendwo zu sehen; nur eine hohe Eibenhecke mit einer Öffnung, durch die ein mit Backstein gepflasterter Weg führte.
»Wer weiß von diesem Schlüssel?« fragte Lynley.
Miriam Whitelaw biß sich auf die Unterlippe, als sei ihr klar, wie merkwürdig ihre Antwort klingen mußte. »Das weiß ich nicht genau. Tut mir leid.«
»Sie wissen es nicht?« wiederholte Barbara langsam.
»Er liegt seit über zwanzig Jahren dort«, erläuterte Miriam Whitelaw. »So brauchten wir, wenn am Haus etwas gemacht werden mußte, während wir in London waren, den Arbeitern nur Bescheid zu sagen. Und wir konnten immer ins Haus, wenn wir unseren eigenen Schlüssel einmal vergessen hatten.«
»Wir?« fragte Lynley. »Sie und Fleming?« Sie reagierte nicht, und er merkte, daß er das »Wir« falsch interpretiert hatte. »Sie und Ihre Familie.« Er bot ihr die Hand. »Würden Sie uns den Schuppen bitte zeigen?«
Der Schuppen schmiegte sich an die Rückwand der Garage, nicht mehr als ein Holzgerüst mit einem Dach und Wänden aus irgendeinem Kunststoff. An den Holzbalken im Innern waren Borde angebracht. Miriam Whitelaw schob eine Leiter zur Seite und wirbelte etwas Staub von einem zusammengeklappten Sonnenschirm auf. Sie wies auf eines der vollgepackten Borde, auf dem ein Blumentopf aus gelber Keramik in Form einer Ente stand.
»Da drunter«, sagte sie.
Barbara hob die Ente vorsichtig an Schwanz- und Schnabelspitze hoch. »Nichts«, meldete sie. Sie stellte die Ente wieder hin und sah unter dem Tontopf daneben nach, dann unter einer Dose Insektenspray und so weiter, das ganze Bord entlang.
»Er muß da sein«, beharrte Miriam Whitelaw, während Barbara suchte, aber der Ton ihrer Stimme verriet, daß sie eigentlich nur protestierte, weil es erwartet wurde.
»Ich nehme an, Ihre Tochter weiß von dem Schlüssel«, bemerkte Lynley.
Miriam Whitelaw schien zu erstarren. »Glauben Sie mir, Inspector, meine Tochter hat mit dieser Sache nichts zu tun.«
»Wußte sie von Ihrer Beziehung zu Fleming? Sie sagten, daß Sie nichts mehr miteinander zu tun hätten. Seinetwegen?«
»Aber nein! Selbstverständlich nicht. Wir sehen uns seit Jahren nicht mehr. Es hat nichts mit -«
»Er war Ihnen wie ein Sohn. Er stand Ihnen so nahe, daß Sie Ihr Testament zu seinen Gunsten änderten. Als Sie diese Änderung vornahmen, haben Sie da Ihre Tochter enterbt?«
»Sie hat das Testament überhaupt nicht gesehen.«
»Kennt sie Ihren Anwalt? Könnte sie von ihm von dem Testament erfahren haben?«
»Das ist ja absurd!«
»Was ist absurd?« fragte Lynley milde. »Daß sie von dem Testament erfahren oder daß sie Fleming getötet haben könnte?«
Miriam Whitelaws bleiches Gesicht verfärbte sich plötzlich. Die Röte stieg wie Feuer von ihrem Hals auf. »Erwarten Sie im Ernst, daß ich eine solche Frage beantworte?«
»Ich erwarte gar nichts«, antwortete er. »Aber ich werde die Wahrheit aufdecken.«
Sie nahm ihre dunkle Brille ab. Es schien eine Geste zu sein, die hauptsächlich auf Wirkung zielte, ein Man-höre-sich-das-an, das ganz zu
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