07 - Asche zu Asche
der ehemaligen Lehrerin paßte.
»Gabriella wußte auch, daß der Schlüssel hier lag. Ich habe es ihr selbst gesagt. Sie kann es jemandem erzählt haben, praktisch jedem. Vielleicht hat sie sogar jemandem gezeigt, wo er lag.«
»Aber wäre das denn logisch? Sie sagten doch gestern abend, daß sie hierherkam, um allein zu sein.«
»Ich weiß nicht, was in Gabriellas Kopf vorgeht. Sie hat ein Faible für Männer, und sie hat einen Hang zum Dramatischen. Wenn es zu einer großen Szene mit ihr in der Hauptrolle beigetragen hätte, hätte sie ganz sicher kein Geheimnis daraus gemacht, wo sie sich aufhielt und wo sich der Schlüssel zu ihrem Versteck befand. Sie hätte wahrscheinlich sogar noch schriftliche Mitteilungen verschickt.«
»Aber nicht an Ihre Tochter«, sagte Lynley, um sie wieder zum ursprünglichen Thema zu bringen, wenn er auch zugeben mußte, daß ihre Charakterisierung Gabriellas genau mit der Hugh Pattens übereinstimmte.
Aber Miriam Whitelaw ließ sich nicht beirren, sondern sagte betont ruhig: »Ken hat zwei Jahre hier draußen gelebt, Inspector, als er für das Team von Kent gespielt hat. Seine Familie ist zwar in London geblieben, aber sie haben ihn an den Wochenenden regelmäßig besucht: Jean, seine Frau; Jimmy, Stan und Sharon, seine Kinder. Sie alle wußten von dem Schlüssel.«
Lynley war jedoch nicht abzulenken. »Wann haben Sie Ihre Tochter das letztemal gesehen, Mrs. Whitelaw?«
»Olivia kennt Ken - kannte Ken überhaupt nicht.«
»Aber sie wußte doch sicher von ihm.«
»Sie waren einander nie begegnet.«
»Trotzdem. Wann haben Sie sie das letztemal gesehen?«
»Und selbst wenn sie alles gewußt hätte, so hätte das keinen Unterschied gemacht. Geld und materielle Dinge bedeuten ihr nichts. Es wäre ihr völlig gleichgültig, wer was erbt.«
»Sie würden staunen, wie schnell die Menschen begreifen, daß Geld und materielle Dinge wichtig sind, wenn es hart auf hart geht. Also bitte, wann haben Sie sie das letztemal gesehen?«
»Sie hat nichts -«
»Mrs. Whitelaw! Wann?«
Sie fiel in eine Art Versteinerung, und es dauerte volle fünfzehn Sekunden, ehe sie antwortete: »Vor sechs Jahren. Am Freitag, dem neunzehnten April, abends vor dem Untergrundbahnhof Covent Garden.«
»Sie haben ein hervorragendes Gedächtnis.«
»Es ist ein besonderes Datum.«
»Wie kommt das?«
»Weil mein Mann mich an diesem Abend begleitet hat.«
»Ist das irgendwie bedeutsam?«
»Für mich, ja. Er ist unmittelbar nach dieser Begegnung mit Olivia plötzlich gestorben. So, und jetzt würde ich gern einen Moment an die Luft gehen, Inspector, wenn Sie nichts dagegen haben. Es ist ziemlich stickig hier drinnen, und ich möchte Ihnen nicht durch eine zweite Ohnmacht Umstände machen.«
Er trat zur Seite, um sie vorbeizulassen, und hörte, wie sie sich die Kunststoffhandschuhe herunterriß.
Barbara reichte Isabelle Ardery die Keramikente. Sie sah sich in dem Schuppen mit seinen Säcken, seinen zahllosen Tontöpfen und Gartengeräten um und brummte: »So ein Durcheinander! Wenn's hier Spuren gibt, können wir lange suchen.« Sie seufzte und sagte zu Lynley: »Was meinen Sie dazu?«
»Ich meine, es wird Zeit, daß wir uns auf die Suche nach Olivia Whitelaw machen«, antwortete er.
Olivia
Wir haben zusammen zu Abend gegessen, Chris und ich, und ich habe abgespült wie immer. Chris hat eine Engelsgeduld, auch wenn ich fast eine Stunde brauche, um das zu schaffen, was er in zehn Minuten erledigen könnte. Nie sagt er: »Laß mich mal, Livie.« Nie schiebt er mich zur Seite. Wenn mir ein Teller oder ein Glas in die Brüche geht oder wenn mir ein Topf runterfällt, läßt er mich die Bescherung allein aufräumen und tut so, als merkte er nichts, wenn ich fluche und flenne, weil der Besen und der Schrubber mir nicht gehorchen.
Meistens macht er abends, bevor er ins Bett geht, meine Tür noch mal einen Spalt auf, um nach mir zu sehen. Wenn er merkt, daß ich wach bin, fragt er: »Liv? Möchtest du noch irgendwas?«
O ja, o ja. Und was ich alles möchte. Die Liste ist endlos. Ich möchte, daß er im Lichtschein des Korridors seine Kleider ablegt. Ich möchte, daß er zu mir ins Bett kommt. Ich möchte, daß er mich in seine Arme nimmt und festhält. Ich habe eintausendundeinen Wunsch, und keiner wird sich je erfüllen.
Zuerst verliert man den Stolz, wurde mir gesagt. Der Prozeß wird in dem Augenblick beginnen, in dem ich erkenne, in welchem Ausmaß mein Leben in den Händen anderer liegt. Aber ich kämpfe
Weitere Kostenlose Bücher