07 - Asche zu Asche
gegen diese Vorstellung. Ich halte eisern an mir fest. Ich beschwöre das immer blasser werdende Bild von Liv Whitelaw, der Gesetzlosen. Ich sage also zu Chris: »Nein, danke. Ich habe alles.« Und in meinen eigenen Ohren klingt es, als meinte ich das wirklich so.
Ich muß lachen, während ich das hier schreibe. Ich sehe die Ironie meiner Situation ganz genau. Wer hätte gedacht, daß ich mich je nach einem Mann sehnen würde, und dann auch noch nach diesem Mann, der vom ersten Moment an alles getan hat, um mir klarzumachen, daß er nicht mein Typ ist.
»Mein Typ« hat nämlich immer auf diese oder jene Weise für das bezahlt, was er von mir bekam. Manchmal haben »mein Typ« und ich auch im voraus Bezahlung mit Gin oder Drogen vereinbart, aber meistens wurde bar auf die Hand bezahlt. Diese Information dürfte Sie eigentlich nicht mehr überraschen, denn Sie wissen ja, daß es viel leichter ist, im Leben abzurutschen als aufzusteigen.
Ich ging auf den Strich, weil es kaputt und sündig war, dieses Leben am Rande der Gesellschaft. Und je älter der Kerl, desto lieber war es mir, weil das die Erbärmlichsten waren. Sie kamen in korrekten Anzügen und gondelten unter dem Vorwand, sich verfahren zu haben und eine Orientierungshilfe zu brauchen, in Earl's Court herum. Und dann warteten sie mit geöffneten Lippen und schweißglänzenden Gesichtern im Schein der Innenbeleuchtung ihres Wagens. Sie warteten auf ein Zeichen, ein ermunterndes Wort, etwa: »Wie wär's denn mit uns beiden, Süßer?« Da gerieten sie meist ins Stottern und fragten zaghaft:
»Wieviel?«
Es war so simpel. Und ich verdiente innerhalb von fünf Stunden genug, um davon die Wochenmiete für das möblierte Zimmer zu bezahlen, das ich mir in Barkston Gardens genommen hatte, und mir noch ein halbes Gramm Koks oder ein Röhrchen Tabletten zur Stimmungsaufhellung zu kaufen. Das Leben war so einfach, daß ich nicht verstehen konnte, warum nicht jede Frau in London es so machte.
Natürlich hatte das alles mit dem Tod meines Vaters zu tun. Ich brauchte keine Sitzungen bei Dr. Freud, um das zu merken. Zwei Tage nachdem ich das Telegramm mit der Nachricht von Dads Tod erhalten hatte, nahm ich mir den ersten Typen über fünfzig. Es machte mir Spaß, ihn zu verführen. Ich genoß es, ihn immer wieder zu fragen: »Bist du ein Daddy? Soll ich dich Daddy nennen? Wie möchtet du mich denn nennen?« Und es war ein Triumph für mich und irgendwie eine Befreiung, wenn ich die zuckenden Körper dieser Männer sah und hörte, wie sie stöhnten. Denn dann wußte ich das Schlimmste von ihnen, und damit konnte ich irgendwie das Schlimmste an mir rechtfertigen.
So lebte ich bis zu dem Nachmittag ungefähr fünf Jahre später, an dem ich Chris Faraday begegnete. Ich stand am Eingang zum U-Bahnhof Earl's Court und wartete auf einen meiner Stammfreier, einen Immobilienmakler mit einem Bassetgesicht. Er liebte den Schmerz und führte im Kofferraum seines Wagen stets ein Sortiment Marterinstrumente mit sich. Der Verdienst war gut, aber das Unterhaltungsniveau zeigte sinkende Tendenz. Und wenn er auch stets freudig im voraus bezahlte und hinterher noch freudiger heim zu seiner treusorgenden Gattin in Battersea fuhr, fürchtete ich doch, daß er mir eines Tages mit plötzlichem Herzversagen umkippen würde, und die Aussicht, mit einer grinsenden Leiche dazusitzen, lockte mich gar nicht. Deshalb war ich, als Archie am Dienstag um halb sechs nicht zu unserer Verabredung erschien, einerseits verärgert, aber auch erleichtert.
Ich berechnete gerade die finanzielle Einbuße, als Chris in meine Richtung über die Straße kam. Er hatte einen Hund an der Leine, eine fürchterliche Promenadenmischung, die den Namen Hund eigentlich gar nicht verdiente, und er schien sich zu bemühen, seinen Schritt dem Hinken des Tieres anzupassen.
Als er näher kam, sagte ich: »Das ist echt das häßlichste Vieh, das ich je gesehen habe. Warum tust du der Welt nicht den Gefallen und versteckst den Köter, damit ihn keiner ansehen muß?«
Er blieb stehen. Er blickte von mir zu seinem Hund, ganz langsam, so daß ich nicht umhin konnte zu sehen, daß der Vergleich zugunsten des Hundes ausfiel.
»Woher hast du den überhaupt?« fragte ich.
»Geklaut«, antwortete er.
»Geklaut?« rief ich. »Diesen Köter? Na, du hast vielleicht einen Geschmack!« Dem Hund fehlte nicht nur ein Bein, er hatte auch einen völlig entstellten Kopf - kein Fell, nur rotentzündete Wunden, die gerade zu verheilen
Weitere Kostenlose Bücher