07 - Asche zu Asche
Männern.«
Als die Mannschaft aufgestellt war, ging Mutter nicht ein einziges Mal zu einem Match, um Kenneth spielen zu sehen. Dennoch meinte sie sicherlich, etwas dazu beigetragen zu haben, dem Jungen ein Leben stumpfsinniger Plackerei - denn so sah sie zweifellos seine Ehe mit Jean Cooper - etwas erträglicher zu machen. Die beiden hatten bald nach dem ersten ihr zweites Kind bekommen, und zunächst sah es so aus, als sollte sich für sie die Verheißung des Lebens darin erschöpfen, daß sie jedes Jahr ein Kind bekamen und spätestens mit ihrem dreißigsten Geburtstag in das gesetzte mittlere Alter eintreten würden. Mutter tat also, was sie konnte, und bemühte sich, die glänzende Zukunft zu vergessen, auf die Kenneth Fleming einst hatte hoffen lassen.
Dann starb Dad. Und da ging es los.
Anfangs überließ Mutter die Leitung der Druckerei einem Geschäftsführer, den sie einstellte. Es blieb so ziemlich alles beim alten. Dad war nie einer von den Unternehmern gewesen, die sich mit den Arbeitern »gemein« machten, wie sein Vater das vor dem Zweiten Weltkrieg zu bezeichnen pflegte. Er leitete seine Firma von der aseptischen Stille seines Büros in der dritten Etage aus und überließ es einem Vorarbeiter, der sich zu dieser Stellung hochgedient hatte, für den reibungslosen Ablauf der täglich anfallenden Arbeiten zu sorgen.
Vier Jahre nach Dads Tod ging Mutter in Pension. Sie hätte ihren Terminkalender immer noch mit zahllosen guten Werken füllen können, aber sie beschloß, sich nach einer größeren Herausforderung umzusehen, die mehr Einsatz und Interesse von ihr verlangte. Ich glaube, sie fühlte sich einsam und war davon überrascht. Der tägliche Unterricht, die Vorbereitung und die Schreibarbeit, die dazu gehörten, hatten ihrem Leben Struktur gegeben; ohne sie war sie gezwungen, sich mit der Leere auseinanderzusetzen. Sie und Dad waren nie Seelengefährten gewesen, aber wenigstens war er präsent in ihrem Leben. Jetzt war er nicht mehr da, und durch nichts konnte sie sich nun, ohne ihre Berufstätigkeit und ohne ihn, von ihrer Einsamkeit ablenken. Sie und ich hatten nichts mehr miteinander zu schaffen - und waren beide gleichermaßen entschlossen, der anderen die Ungerechtigkeiten und Verletzungen niemals zu vergeben. Ein Enkelkind, um das man hätte herumschwirren können, stand also nicht zur Debatte. Und die Hausarbeit hatte ihre Grenzen. Mutter brauchte eine Aufgabe.
Die Druckerei bot sich als logische Lösung an, und Mutter übernahm die Leitung der Firma mit einer Selbstverständlichkeit, die alle verblüffte. Doch sie hielt es, im Gegensatz zu Dad, mit der »praktischen Zusammenarbeit mit den Männern«, wie sie es formulierte. Sie lernte das Geschäft von der Pieke auf und erwarb sich damit nicht nur die Achtung der Männer, die an den Maschinen arbeiteten, sondern stellte auch die Verbindung zu Kenneth Fleming wieder her.
Ich habe mir mal das Vergnügen gemacht, mir vorzustellen, wie ihre erste Begegnung, neun Jahre nachdem er in Ungnade gefallen war, sich abgespielt hat. Ich denke mir, das Ganze ereignete sich bei Maschinenlärm und dem Gestank von Druckfarbe und Maschinenöl. Ich sehe Mutter, wie sie im trüben Licht der kleinen, schmutzigen Fenster von einer Maschine zur nächsten geht, begleitet vom Vorarbeiter, der einen Terminplan in der Hand hält. Bei einer Presse halten sie an. Ein Mann im ölverschmierten Arbeitskittel blickt auf, schwarze Ränder unter den Fingernägeln, einen Schraubenschlüssel in der Hand. Er sagt vielleicht: »Diese gottverdammte Maschine hat schon wieder schlapp gemacht. Hier muß mal gründlich modernisiert werden, sonst können wir den Laden schließen.« Erst dann bemerkt er Mutter. Pause für anschwellende dramatische Musik. Sie stehen einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Schüler und Mentorin. Nach so vielen Jahren. Sie ruft: »Ken!«
Er weiß nicht, was er sagen soll. Er dreht seinen Ehering am druckerschwarzen Finger, und irgendwie bedeutet das alles: Es ist die Hölle. Es tut mir leid, Sie hatten recht. Verzeihen Sie mir. Nehmen Sie mich wieder auf. Helfen Sie mir. Damit mein Leben einen Sinn bekommt.
Sicher ist es ganz anders gewesen. Aber die Begegnung fand tatsächlich statt. Und sehr bald schon, innerhalb von sieben Monaten, fanden Kenneth Flemings Talente und seine Intelligenz mehr Beachtung als in all den Jahren, in denen er in der »Grube«, wie die Männer den Maschinenraum nannten, geschuftet hatte.
Als erstes fragte Mutter
Weitere Kostenlose Bücher