07 - Old Surehand I
Hättest du es vorhin gesagt; du wolltest dich aber nicht verhören lassen; nun ist's zu spät! Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß wir mit den andern nichts zu tun haben wollen; ihnen wird also nichts weiter geschehen, als daß wir sie bis morgen früh hier festhalten; da ist es Tag, und wir können uns überzeugen, daß sie sich wirklich entfernen. Die Dienste, welche euch die Chickasaws geleistet haben, werden wir ihnen von dem bezahlen, was wir bei euch finden. Jetzt bindet den ehrenwerten General hier an die Postoak (Pfahl- oder Pfosteneiche), macht Old Wabble die Hände frei, daß er zuschlagen kann, und schneidet da drüben von den Sträuchern einige gute hazel-switches (Haselruten) ab, die hübsch stark, doch biegsam sind! Der General soll seine Orden bekommen, aber nicht vorn auf die Brust!“
Ich ging mit Winnetou fort, um nicht Zeuge der Vollstreckung dieses Urteils zu sein. Ein Ebenbild Gottes prügeln zu sehen, ist nicht jedermanns Sache. Leider aber gibt es Menschen, bei denen selbst eine solche Strafe ohne alle Wirkung bleibt, und hätte ich jetzt gewußt, was ich später erfuhr, so wären mir selbst hundert Hiebe für diesen gott- und gewissenlosen Schurken noch viel zuwenig gewesen. Wir hörten nach unsrer Rückkehr, daß Old Wabble sich zwar erst gesträubt, dann aber angesichts des drohenden Revolvers tüchtig zugeschlagen hatte. Dann wurden die Kerls miteinander so sicher eingesperrt, daß sie nicht fliehen konnten.
Als man sie am andern Morgen aus ihrem Gewahrsam brachte, sahen die Gesichter des Generals und Old Wabbles blutig aus. Sie waren trotz ihrer Fesseln aneinander geraten. Douglas hatte sich in einer ganz unbeschreiblichen Wut darüber befunden, daß der Alte sich hatte zwingen lassen, ihm die fünfzig Hiebe zu geben. Als wir ihn jetzt losbanden, wollte er sich wieder auf ihn stürzen, und als wir ihn davon abhielten, schrie er ihm zu:
„Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann!“
Das war sehr ernst gemeint; Old Wabble sah es ein und bat Helmers, ihn eher als den General fortzulassen. Er scheute sich, diese Bitte an mich oder an Winnetou zu richten; wir hielten uns von ihm fern. Sie wurde ihm gewährt. Herkules, der Neger, brachte ihn fort, und erst als hierauf eine Stunde vergangen war, wurde Douglas mit seinen drei weißen Begleitern über die Grenze geführt. In welcher Weise er von uns Abschied, nahm, braucht nicht gesagt zu werden. Er floß von Drohungen und Verwünschungen förmlich über. Sein Zorn war dadurch bis zum höchsten Grad gesteigert worden, daß wir ihnen allen die Waffen und die Munition genommen und den Chickasaws als Belohnung gegeben hatten. Was Winnetou und mich betrifft, so konnten wir mit dem Ausgang unsres Ritts sehr zufrieden sein. Wir hatten unsere Gewehre wieder, die sich in demselben guten Zustand wie vorher befanden.
Als wir dann erzählend am Vormittag vor dem Haus am Tisch saßen, stand Helmers plötzlich auf, ging zu dem Baum, an welchem der General gestern angebunden war, hob dort etwas vom Boden auf und sagte:
„Da sah ich etwas blinken. Es ist ein goldener Ring, ein Trauring, wie es scheint. Seht ihn einmal an!“
Der Ring ging von Hand zu Hand. Ja, es war ein Trauring, und auf seiner Innenfläche sahen wir zwei Buchstaben und ein Datum eingegraben.
„Wie kommt der Ring dorthin?“ fragte Frau Barbara. „Wer mag ihn verloren haben?“
„Der General“, antwortete Helmers. „Seine Hand war festgebunden und hat sich, als ihn die Hiebe schmerzten, so unter den Riemen gewunden, daß der Ring abgestreift worden ist. Anders kann es nicht sein.“
Wir gaben ihm recht und meinten, daß er den Ring als Andenken an den gestrigen Strafvollzug aufbewahren möge; er aber legte ihn mir in die Hand und sagte:
„Was soll ich mit ihm? Er ist nicht mein; ich komme nicht von hier fort und werde den General wohl nicht wiedersehen. Bei Euch aber, Mr. Shatterhand, ist es möglich, daß Ihr ihm einmal begegnet. Steckt ihn ein.“
Ich hatte keinen Grund, mich zu weigern, und steckte den Ring an meinen Finger, wo er sicherer als in der Tasche war. Vorher betrachtete ich ihn genau und las: E.B. 5. VIII. 1842. Wie wichtig dieser Ring mir und Old Surehand später werden sollte, das konnte ich jetzt nicht ahnen. – – –
KARL MAY
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