07 - Old Surehand I
nur, daß ich mich stets hüten werde, einer guten und richtigen Ansicht entgegenzutreten.“
„Ach so! Und wenn Ihr nun die richtige habt und wir sehen das nicht ein und tun nicht, was Ihr wollt?“
„So lasse ich euch stehen oder sitzen und gehe meiner Wege.“
„Allein?“
„Jawohl, allein!“
„Aber dann kann doch das, was getan werden soll, nicht ausgeführt werden!“
„Doch, denn ich würde es allein ausführen. Ein vernünftiger Mann bringt ohne Hilfe und ganz allein mehr fertig, als wenn er zehn andre bei sich hat, die ihm sein gutes Werk verderben.“
„Das heißt also folgendermaßen: Old Shatterhand denkt niemals dumm; es muß stets nach seinem Willen gehen, und wenn das nicht geschieht, so läuft er davon?“
„So ungefähr, wenn auch nicht gar so schroff.“
„Das ist aber doch ganz dasselbe, als wenn wir Euch zu unserm Kommandanten erwählten!“
„Nein, denn ihr sollt mir nicht stets und absolut zum Gehorsam verpflichtet sein, sondern ein jeder soll seine Meinung äußern dürfen. Und was Euch persönlich betrifft, Mr. Cutter, so bin ich vollständig überzeugt, daß Ihr stets auch das Richtige tun und niemals etwas Verkehrtes unternehmen werdet.“
Da ging ein heller Sonnenstrahl der Befriedigung über sein faltiges Gesicht, und er rief im Ton der Freude und der Zustimmung aus:
„Das soll ein Wort sein, Sir, ein Wort, das immer Geltung hat, th'is clear! Wir haben keinen Kommandanten, aber wenn die andern nicht einsehen, daß Ihr recht habt, so lassen wir sie sitzen. Kommt mit mir voran; wir wollen weiter!“
Wir ritten an der Lehne des Tals empor und dann, als wir oben angekommen waren, im rechten Winkel von demselben fort. Da oben war das Terrain eben, und wir konnten unsre Pferde, die wir unten erst hatten tüchtig trinken lassen, in Galopp setzen. Old Wabble hielt sich voran den andern neben mir und wendete zuweilen seinen Blick bewundernd auf meinen Rappen, dem die jetzige schnelle Gangart sichtlich Freude machte.
Der Alte war ein ausgezeichneter Reiter und saß trotz seines hohen Alters wie ein Jüngling in dem Sattel. Sein langes, weißes Haar flog, ähnlich dem prächtigen, dunklen Schopf Winnetous, wie eine silberne Mähne hinter ihm her. Eigentlich hatte er da unten am Bach meine Erwartungen nicht erfüllt, denn die von ihm gemachten Einwendungen waren keineswegs Beweise jenes scharfen und untrüglichen Blicks gewesen, der einem Jäger ersten Ranges eigen ist; aber ich sagte mir, daß seine ‚Spezialität‘, um mich so auszudrücken, wohl eine andre sei. Der einstige ‚König der Cowboys‘ war nur im freien Feld, auf der offenen Savanne tätig gewesen und hatte also nicht zu denjenigen Eigenschaften kommen können, für welche nur die dichten Wälder und schluchtenreichen Gebirge die richtigen Schulstätten sind. In allem aber, was ich als zu seinem Fach gehörig bezeichnen möchte, konnte ich mich ganz gewiß auf ihn verlassen.
Wir ritten stundenlang nebeneinander her, ohne daß er ein Wort sagte. Als ich über dieses Schweigen eine Bemerkung machte, antwortete er:
„Ich rede und erzähle gern, Sir; aber ich weiß, daß ich Euch damit nicht kommen darf.“
„Warum nicht?“
„Weil Ihr es mehr mit der Tat als mit dem Wort haltet. Jedermann hat gehört, daß Ihr tagelang mit Winnetou beisammen seid, ohne daß ein Wort, welches nicht notwendig ist, gesprochen wird. Selbst wenn Ihr beide euch vor einer Gefahr befindet, über welche andre Westmänner lange Beratungen halten würden, verständigt ihr euch durch einen kurzen Wink oder einen einzigen Blick. Also schweige ich, damit Ihr mich nicht für einen Schwätzer haltet; th'is clear.“
„Winnetou hat allerdings die Eigenheit, mehr in Taten als in Worten zu reden, und ich bin grad wie er. Es wird mich freuen, wenn ich die Erfahrung mache, daß ich mich mit Euch so gut versteh wie mit ihm, Mr. Cutter.“
„Habt da ja keine Sorge, Sir! Ich bin kein ganz unerfahrener Kerl und werde mich bemühen, Euch zu beweisen, daß Ihr mich brauchen könnt.“ –
Die Gegend, durch welche wir kamen, war so, wie ich sie beschrieben hatte, teils felsige Ebene, teils sandige Öde, bis wir am Nachmittag fruchtbareren, mit Gras bewachsenen Boden trafen. Wir näherten uns einem Zufluß des Pecos, dessen Ufer mit Strauchgrün eingefaßt waren. Ich kannte diesen Wasserlauf von früher her und folgte ihm bis zu seiner Mündung. Als wir diese erreichten, war es nicht ganz mehr zwei Stunden vor Abend; eine Stunde hatten wir von
Weitere Kostenlose Bücher