071 - Im Angesicht des schwarzen Gottes
befand, in dem sich das abspielte, was wir sahen.
Das war ein Nachteil von Yuums Auge. Dennoch mußten wir froh sein, daß es existierte, sonst hätten wir von diesen Vorgängen nichts erfahren.
Das Gesicht des Mannes war stark gerötet. Es verzerrte sich. Er drehte den Kopf hin und her, während die Schmerzen in seinem Körper immer unerträglicher zu werden schienen.
Ich glaubte zu wissen, was geschehen würde.
Der Mann würde sich verwandeln. Alle Anzeichen wiesen darauf hin, daß er zum gefährlichen Wertiger wurde. Und wir konnten nicht eingreifen, waren dazu verurteilt, zuzusehen, wie das Grauen eskalierte.
Der Mann streckte die Hand nach dem Telefon aus. Vielleicht wollte er jemanden zu Hilfe rufen, doch die Hand fiel auf halbem Weg auf den Schreibtisch.
Er selbst schien nicht zu wissen, was mit ihm los war. So qualvoll würde nur die erste Metamorphose sein. Unter allen anderen würde er dann nicht mehr zu leiden haben. Aber ich hätte schon gern diese erste Verwandlung verhindert.
Doch wie? Ohne Adresse wußte ich nicht, wohin ich fahren sollte.
Während ich nicht den Blick von dem großen Auge an der Wand nahm, fragte ich: »Fystanat, du hast die Geschehnisse doch von Anfang an verfolgt.«
»Ja. Die ersten Bilder waren jene vom Airport.«
»Nachdem sich die Kidnapper des Inders entledigt hatten - in welche Richtung fuhren sie dann? Versuch dich an den Weg zu erinnern.«
»Das habe ich bereits versucht. Ich weiß nicht, wohin die Gangster gefahren sind, Tony. Ich kenne die Gegend nicht.«
»Fuhren Sie nach Norden?« ließ ich nicht locker.
»Nein. Ich glaube nicht.«
»Süden?«
»Könnte schon eher sein, aber ich kann's nicht beschwören«, sagte Fystanat bedauernd. »Das Haus muß sich in einem Vorort befinden.«
»Greenwich? Bexley? Bromley? Croydon? Sutton?« Der Mann aus der Welt des Guten hob die Schultern. »Selbst wenn du mich noch so sehr löcherst, Tony; es kommt nichts dabei heraus.«
»Sie könnten an einem markanten Punkt vorgekommen sein. An einem auffälligen Gebäude«, machte ich weiter.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Fystanat ernst.
Der Mann hinter dem Schreibtisch riß den Mund weit auf. Bestimmt brüllte er in diesem Augenblick, so laut er konnte. Gleichzeitig sprang er auf, griff nach dem Pflasterstreifen und riß ihn sich vom Gesicht.
Die Verletzung war verheilt. Über solche Kleinigkeiten wunderte ich mich schon lange nicht mehr.
Dunkelrot leuchtete die Narbe. Der Mann griff sich mit beiden Händen an die Kehle, als wollte er sich selbst erwürgen. Dann fing er an, wie von Sinnen um sich zu schlagen. Mir fiel auf, daß seine Fingernägel länger geworden waren.
Jetzt griff er unter den Schreibtisch und kippte ihn um. Die indische Schatulle mit der schwarzen Kralle fiel zu Boden. Der Mann begann zu wüten. Er schlug alles kurz und klein, verwandelte den Raum innerhalb kürzester Zeit in ein Trümmerfeld.
Gebannt beobachteten wir ihn. Sein Kopf war merklich runder geworden, und nun wirkte eine ungeheure Kraft auf ihn ein. Sie zwang ihn, sich zu krümmen, warf ihn nieder.
Und er fing den Sturz nicht mehr mit Händen, sondern bereits mit Tigerpranken ab. Ein dichtes, weiches Fell bedeckte seinen Nacken und den Hinterkopf, und als er sich Sekunden später umwandte, hatte er sein menschliches Aussehen verloren.
Die Fratze eines gefährlichen Raubtiers starrte uns durch Yuums Auge an.
»Jetzt wird er sein Haus verlassen«, sagte Mr. Silver, »und zum erstenmal auf Menschenjagd gehen.«
»Und wir können ihn nicht aufhalten«, sagte Roxane heiser.
Der Mann hetzte aus dem Raum. Mit seinen Pranken hämmerte er die Türen auf. War er vor wenigen Augenblicken noch sichtlich schwach gewesen, so war er nun alles andere als kraftlos.
Wer ihm jetzt begegnete, war seines Lebens nicht sicher. Er war zur reißenden Bestie geworden, die von einem unbändigen Mordtrieb auf die Straße getrieben wurde.
Ich verfolgte konzentriert, was weiter geschah. Vor allem die Umgebung des Wertigers sah ich mir ganz genau an, und ich hoffte, daß mir irgend etwas bekannt vorkam.
Die Bestie rannte über einen gepflegten Rasen, an immergrünen Pflanzen vorbei. Dann hatte sie feucht glänzenden Asphalt unter den Füßen.
Mit langen Sätzen lief der Wertiger auf das Streulicht einer Straßenlaterne zu. Ganz kurz blieb er stehen, blickte sich suchend um.
Menschenleer war die Straße, und das gefiel dem Monster nicht. Es wollte töten!
Der Wertiger lief weiter, und plötzlich fiel der
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