0714 - Die Totenfrau ist da
Kraft und Stärke zunehmen und bald aussehen wie ein tiefgelber Kreis. Wenn diese Zeit eingetreten ist, kannst du sagen, daß meine Zeit gekommen ist, Sinclair. Ja, dann ist sie da. Dann werden wir beide das Haus verlassen und weggehen.«
Ich merkte, daß die Lähmung nicht auf die Beine beschränkt geblieben war. Sie hatte auch meine Arme erfaßt. Wenn ich jetzt versuchte, die Beretta zu ziehen, würde ich nicht an sie herankommen, so schwach waren meine Glieder geworden.
Beinahe sezierend genau beobachtete mich die Frau. Sie hörte auch meine mit einer schwachen Stimme gestellte Frage, die ich in den Raum hineinsprach, der mir vorkam wie mit einem gelben, milchigen Nebel angefüllt. »Wohin werden wir gehen?«
»Zum Friedhof, John, zum Friedhof…«
***
Dieses Weib ist ein weiblicher Teufel!
Harriet Slade, die Frau, die sich auf der Beerdigung so schrecklich aufgeregt hatte, wollte einfach nicht von diesem Gedanken weg. Je intensiver sie darüber nachdachte, um so stärker kristallisierte er sich hervor. Sie ging einfach davon aus, daß sie recht hatte, und nichts würde sie davon abbringen.
Man muß ihr das Handwerk legen!
Dieser Gedanke folgte dem ersten, und sie versuchte nun, ihn in die Tat umzusetzen und einen Plan zu entwickeln.
Sehr einsam war sie in ihrem Haus. Sie hatte es von ihren Eltern geerbt. Es stand inmitten eines kleinen Gartens, der von Harriet Slade tagtäglich gepflegt wurde, denn eine andere Aufgabe hatte sie nicht. Sie lebte einfach in den Tag hinein, aus dem Beruf war sie ausgestiegen, als die Versicherung ihr die Summe ausgezahlt hatte. Sie konnte von dem Geld ganz gut leben, und das Erbteil ihrer Eltern brachte auch noch Zinsen.
Im Ort war sie die Person mit den großen Ohren, die alles wußte und sich auch um alles kümmerte.
Sie war immer dabei, wenn etwas passierte: sie hörte das Gras wachsen, sie hetzte den einen gegen den anderen auf, und sie war sehr mißtrauisch geworden, als sie von den Toten gehört hatte, die man fand. Es hatte in den letzten drei Jahren einige Morde gegeben, die immer nur bei Vollmond passierten, und ungefähr drei Jahre lebte auch diese Selma Scott im Ort.
Gab es da etwa einen Zusammenhang?
Sosehr sie sonst redete und tratschte, das hatte sie für sich behalten und mit keinem anderen darüber gesprochen. Sie wollte keinen warnen und auch nicht als Spinnerin hingestellt werden. Eines allerdings stand fest. Der Täter war bis heute noch nicht gefunden worden. Er mußte es verstehen, sich ausgezeichnet zu tarnen.
Zum Beispiel durch Heirat.
Dr. Hyram Scott war im Ort sehr beliebt gewesen. Man hatte ihn respektiert, anerkannt, und man war stolz darauf gewesen, diesen Menschen als Bürger in der Mitte zu wissen. Er war eine Kapazität gewesen, er wußte sehr viel, und er war nie eingebildet dahergekommen, wenn Menschen ihn um Rat fragten.
Immer hatte er Auskunft gegeben, und man hatte sich auf sein Urteil verlassen können.
Und jetzt war er tot.
Herzschlag, angeblich.
Darüber konnte man ja nur lachen. Jeder, der einigermaßen Bescheid wußte, war über den Gesundheitszustand des Juristen informiert. Dieser Mann war gesund, er hatte sich immer fit gehalten, er war stolz auf seine Gesundheit gewesen, hatte dies auch immer betont. Da war es einfach nicht möglich, daß er an einem Herzschlag gestorben war, auch wenn der Arzt den Totenschein dementsprechend ausgestellt hatte, aber den hielt Harriet Slade sowieso für einen Trottel, mit dem man anstellen konnte, was man wollte, besonders wenn es eine Frau war wie Selma Scott.
Hätte man ihr zwei Hörner gegen die Stirn gedrückt, wäre sie perfekt gewesen.
Ja, eine Teufelin, eingepackt in den Körper einer gut aussehenden Frau, die das schaffte, was Harriet Slade nie in ihrem Leben erreicht hatte. Nach Selma drehten sich die Männer um, da bekamen sie einen bestimmten Ausdruck in den Augen, und Harriet zitterte innerlich, wenn sie daran dachte. Sie haßte diese Frau, denn so wie Selma hatte man sie auch in jungen Jahren nicht angeschaut.
Deshalb hatte sie sich vorgenommen, ihr das Handwerk zu legen. Wenn sie das schaffte, würde sie die Heldin sein, dann würden alle von ihr sprechen, da würden die Reporter kommen, und ihre Interviews würden im Rundfunk, im TV und in den Printmedien erscheinen.
Darauf freute sie sich, das war ihre Triebfeder, und auch während der Beerdigung konnte sie an nichts anderes denken.
Sie war natürlich nicht mit zum Leichenschmaus gegangen, sondern hatte aus sicherer
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