072 - Das Horror Palais von Wien
streifte einen an der Seite parkenden Personenwagen. Es erfolgte ein
ohrenbetäubendes Krachen und Bersten. Die Kutsche knallte gegen die Hauswand,
ein Rad löste sich, die Droschke überschlug sich.
Von
den Pferden war plötzlich nichts mehr zu sehen. Ebensowenig von dem fahl
glühenden Totenschädel auf dem Kutschbock. Die Droschke platzte auseinander wie
eine reife Frucht. Larry Brent, Peter Pörtscher, Kriminalassistent Denner und
Iwan Kunaritschew waren die ersten am Unfallort, ehe aus den
naheliegenden Wohnhäusern und dem Künstler-Café weitere Menschen
stürzten und die Welt nicht mehr begriffen. Auch Larry und seine Freunde hatten
Schwierigkeiten, in diesen Sekunden Schein und Wirklichkeit voneinander zu
trennen. Sie konnten nicht vergessen, was sie gesehen hatten, und nicht das
bestreiten, was sich ihren Augen noch bot. Aus einer völlig zertrümmerten,
uralten und verwitterten Kutsche, zogen sie den Körper eines Sterbenden. Es war
ein junger Mann, der von einer Pistolenkugel in die linke Schläfe getroffen
worden war. Der Mann lebte noch. Es war Paul Graf von Cernay. »Ihr Narren!«
stieß er zornerfüllt hervor. »Ihr wißt nicht, wie dumm ihr seid… ihr habt
vernichtet, was wieder… neu zu leben begonnen hatte…« Während er redete,
zerfielen seine Gesichtszüge zusehends. Das Leben wich aus dem Körper, Leben,
das nicht mehr sein eigenes gewesen war. Ein alter Mann mit welker, runzeliger
Haut lag vor ihnen. »Der Hausmeister!« preßte Iwan Kunaritschew hervor.
●
Die
Untersuchung dieses einmaligen Kriminalfalles begann noch in der gleichen
Minute an Ort und Stelle, denn die Männer, die Spezialisten auf dem Gebiet des
Außergewöhnlichen und Übersinnlichen waren, hatten Entscheidendes mitbekommen.
Minuten, in denen es auch um das Leben der Frau gegangen war, die versucht
hatte, vor der Kutsche davonzulaufen. Sie fanden die Fremde, die noch
geschrieen hatte, nirgends. X-RAY-3 unterdrückte einen Fluch, als er es
erkannte.
» Marina! Es war die Hexe… sie hat uns allen eine Person und ein Bild vorgegaukelt,
das es nicht gegeben hat. Sie ist geflohen… aber anders, als wir es sehen. Sie
hat den Spuk für ihre Zwecke genutzt, die Kutschfahrt des Geistergrafen von
Cernay… In der allgemeinen Verwirrung und dem Durcheinander ist sie entkommen…
zum zweiten Mal.« Anton Sachtler informierte über das Autotelefon seine
Dienststelle, und mehrere Streifenwagen durchforsteten wenige Minuten später
die gesamte Innenstadt. Aber Wien hatte tausend Versteckmöglichkeiten. Die Hexe
Marina war und blieb wie vom Erdboden verschluckt.
●
Es
gab keine logische und einleuchtende Erklärung dafür, wohin die Pferde gekommen
waren und wieso kurz vorher eine prachtvolle, neue Kutsche durch die Gasse
gerast war. Nun stellte sich die Droschke als eine der beiden verwitterten
Gefährte heraus, die seit Jahrzehnten unter dem Dachvorbau im Hof standen und
vergammelten. »Blendwerk des Teufels«, sagte Larry Brent wenig später zu seinen
Freunden, als sie mit einer Mannschaft von rund fünfzig Polizisten das
Horror-Palais Raum für Raum durchstöberten. Sie begannen damit in der ersten
Etage des Nordflügels, in der Wohnung des alten, mürrischen Hausmeisters. »Er
war der leibhaftige Graf von Cernay… damals in jener Nacht, als er unter den
Messerstichen starb, ging er durch den Tod hindurch. Seine Mutter, die ihre
Seele dem Teufel und dem Bösen verschrieben hatte, wußte, daß sie ihm dadurch
relative Unsterblichkeit schenkte. Er lebte als alter Mann weiter, zählte nun
schon rund zweihundert Jahre. Seit dem Auftauchen der Hexe Marina und dem
Einsatz ihrer Mittel konnte aus dem Spuk, der manchmal rings um das Palais
erschien, eine neue Realität, eine neue Dimension werden… wie zum Beispiel das
Auftauchen der Kutsche, mit der der Graf früher seine nächtlichen Fahrten
durchführte und junge Mädchen einlud, mit ihm zu fahren… Marina erfuhr durch
die ihr zugänglich gewordenen Texte vom wahren Geheimnis des unheimlichen Palais. Sie und Boris Rakow werden die ersten jungen
Wienerinnen entführt haben, um dem alten Hausmeister-Graf sozusagen neues Blut,
neues Leben zuzuführen. Damit fing ein teuflischer Kreislauf wieder an…«
Durch
das entschlossene Eingreifen der Agenten und der Wiener Mordkommission war
dieser Teufelskreis jedoch unterbrochen worden. Von der Wohnung des
Hausmeisters aus waren alle Wohnungen in der Etage durch offizielle
Verbindungstüren und auch durch Geheimgänge zu
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