072 - Die Rache des Magiers
Klaus Sorell eine Ehe auf Probe und machte kein Hehl daraus, daß sie ihn verlassen würde, wenn ihr Zusammenleben nicht mehr funktionierte.
„Hallo, Tante“, begrüßte sie Marie. „Komm doch rein. Einen Campari-Soda zur Begrüßung?“
Sie betraten ein modern eingerichtetes Zimmer mit hellem Teppichboden und funktionellen Möbeln. Marie Walter nahm in einem überraschend bequemen Kunststoffsessel Platz, der einer ausgeschälten Apfelsinenhälfte glich. Helga saß ihr auf einer randlosen Liege auf der anderen Seite des Glastisches gegenüber. Klaus Sorell machte sich an der in der Wand eingebauten Hausbar zu schaffen.
Es klingelte.
„Ach ja, ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, daß Bernie heute kommen will“, sagte Helga. „Er hat neue Jazzplatten mitgebracht.“
Klaus Sorell überlegte kurz.
„Das ist vielleicht ganz gut“, meinte er dann. „Bernie ist von der Fakultät, die für deine Befürchtungen zuständig ist, Tante. Du wirst es nicht glauben, wenn du ihn siehst und reden hörst, aber Bernie – oder Bernhard Eberlein, wie er mit vollem Namen heißt – ist Theologe. Er möchte einmal Pastor werden.“
„Da bin ich reichlich gespannt“, sagte Marie Walter.
Klaus Sorell stellte Drinks vor sie und Helga hin und ging dann zur Tür. Gleich darauf kam ein schlaksiger, langer junger Mann herein. Er trug eine dunkle Hornbrille auf der großen Nase und machte einen sympathischen Eindruck. Irgendwie hatte Marie Walter das Gefühl, daß er zu der Sorte gehörte, die hin und wieder über die eigenen Füße stolpert.
Sie begrüßten sich kurz. Klaus Sorell machte bekannt. Nachdem über dies und jenes geplaudert worden war, sagte Klaus Sorell: „Helga, sei ein Schatz und laß uns eine halbe Stunde allein. Ich möchte mit deiner Tante über Edgar Kronberger sprechen, und zwar als Arzt. Es wäre mir recht, wenn Bernie hierbleibt, denn die Sache hat noch andere Aspekte. Aber du verstehst sicher, daß die intimen physischen und psychischen Probleme eines Menschen nicht für die Ohren Fremder bestimmt sind. Und für Edgar Kronberger bist du eine Fremde.“
„Du wirfst mich also raus?“ sagte Helga munter. „Okay, Medizinmann, dann werde ich den Dackel rund um den Häuserblock führen. Sag mal, ist das ein so großes Geheimnis, wo deinen Brötchengeber der Schuh drückt, Tante?“
„Es wäre mir wirklich lieber, wenn du uns allein lassen könntest, Helga. Herr Eberlein mag hierbleiben. Ich nehme an, daß es auch für ihn eine gewisse Schweigepflicht gibt?“
„Kein Wort von dem, was Sie mir anvertrauen, gelangt aus diesem Zimmer, Frau Walter.“
Helga ging. Draußen im Flur bellte der Dackel freudig, weil er nun noch einmal zu einem Abendspaziergang kam. Dann fiel die Wohnungstür ins Schloß.
Marie Walter begann zu reden. In Gegenwart dieser beiden munteren jungen Männer erschienen ihr ihre Ängste und Befürchtungen plötzlich unsinnig und unwirklich. Da sie nun aber einmal da war, brachte sie alles zur Sprache, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen.
Klaus Sorell und der junge Theologe unterbrachen sie nicht. Einmal stand einer auf, um sich einen neuen Drink zu holen, dann stellte Dr. Sorell die Stereoanlage etwas leiser. Doch sonst saßen sie da, hörten Marie gespannt zu.
„Tja“, meinte Bernhard Eberlein, als die rothaarige Frau geendet hatte. „Was meinst du denn vom medizinischen Standpunkt, Klaus?“
„Edgar Kronberger steht zweifellos unter einem starken inneren Druck. Ich würde ihm empfehlen, einen guten Psychotherapeuten aufzusuchen. Doch das wollte ich nicht zur Sprache bringen, es wäre zu direkt gewesen.“
„Vielleicht könnten Sie das Herrn Kronberger schonend beibringen, Frau Walter?“ meinte der Theologe. „Vom theologischen wie auch vom moralischen Standpunkt aus muß ich sagen, daß es in höchstem Maße verwerflich ist, daß Herr Kronberger den Leichnam seiner Frau nicht beisetzen läßt, sondern ihn in seiner Villa aufgebahrt hat. Dieses Verhalten ist an sich schon pathologisch. Das muß Komplikationen heraufbeschwören. Was bezweckt er damit? Die Frau ist doch tot, oder?“
„Eindeutig“, bestätigte Klaus Sorell. „Du hast zwar durchblicken lassen, Tante Marie, daß in der Villa etwas Unheimliches vor sich gehe, aber ich kann nur ein ungewöhnliches Verhalten Edgar Kronbergers feststellen. Gewiß, es ist makaber, daß er seine tote Frau im Haus hat, sie nachts aufsucht und dann mit einer anderen ins Bett geht, doch ein Verbrechen ist das nicht.
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