072 - Die Rache des Magiers
Jahre zurück.
„Das Essen ist im kleinen Salon angerichtet, Herr Kronberger“, sagte die rothaarige, noch immer schöne Frau mit dem herben, unregelmäßigen Gesicht. Sie nannte den Bankier nie Edgar, denn sie war noch mehr auf Distanz bedacht als er. „Was wünschen Sie morgen zum Frühstück?“
„Das übliche. Den Toast nicht zu hart.“
Kronberger ging in den kleinen Salon. Er hatte keinen Blick für die prunkvollen Räume seiner Villa, die zurückgesetzt inmitten eines Parkgrundstücks erbaut war. Auch das Essen – kalter Puter, dazu ein leichter, französischer Rotwein-schmeckte ihm nicht.
Kronberger ging hinauf in den ersten Stock seiner Villa. Er zog den Schlüssel aus der Tasche, schloß das Zimmer auf, in dem seine tote Frau lag. Das Licht des elektrischen Leuchters flammte auf.
Der Raum war mit Samtteppichen ausgelegt. Auch die Wände waren mit dunklem Samt ausgeschlagen. Schwere, seidene Gardinen verdeckten die Fenster des hohen Raums. Zu beiden Seiten des Sarges, der in der Mitte des Zimmers aufgestellt war, standen zwei silberne Kandelaber mit dicken Wachskerzen. Ein Meer von Blumen war über und um den Sarg ausgebreitet. Durch den Blumenduft drang der schwere Duft eines Parfüms, des Lieblingsparfüms der Toten.
Der Sarg selbst bestand aus Kristallglas mit prunkvollen, vergoldeten Beschlägen. In dem Sarg lag eine Frau. Sie war auch im Tode noch bildschön. Ihr langes, blondes Haar glänzte im Lichtschein, die Augen waren geschlossen, die Wangen wie im Schlaf gerötet. Sie trug ein einfaches blaues Abendkleid, und ihre Hände waren auf der Brust gefaltet.
Der Bankier ging leise zu dem Sessel am Kopfende des Sarges, setzte sich und blickte auf die Tote nieder. Eine Weile herrschte Stille.
„Irene“, sagte der Bankier schließlich. „Ich habe ihn gefunden. Den Mann, der uns vielleicht wieder vereinen kann. Ach, Irene, alles, alles würde ich tun, wenn ich dich wieder lebendig machen könnte. Warum hast du sterben müssen, so jung, so schön und so gut? Ich hoffte noch einmal auf ein spätes Glück, nach all den langen Jahren der Arbeit und des Aufbaus. Doch jetzt bin ich allein und einsamer denn je. Oh, mit dem Teufel selbst würde ich einen Pakt schließen, wenn du nur endlich deine Augen öffnen und mich ansehen könntest!“
Bis Mitternacht saß Kronberger bei seiner schönen, toten Frau. Dann erhob er sich, langsam und müde, ging zur Tür. Noch einmal sah er sich um. Es war, als liege eine Schlafende in dem gläsernen Sarg. Dann löschte er das Licht, schloß das Zimmer wieder ab.
Auch am nächsten Tag und am übernächsten geschah nichts. Der Bankier tat seine Arbeit, vermehrte Tag um Tag sein riesiges Vermögen noch. Für wen? Fragte er sich manchmal. Es waren ja keine Erben da, eine weitere Hoffnung, die mit dem plötzlichen Tod der jungen Frau zerronnen war.
Kronbergers erste Frau, von der er vor fünfzehn Jahren geschieden worden war, lebte an der Nordsee in einer kleinen Stadt. Ihr Hobby und ihr Lebensinhalt waren fünfzehn Katzen. Kronberger hörte nur zu Weihnachten und Ostern etwas von ihr. Kinder hatten sie keine gehabt.
Der Bankier versuchte, sich mit Arbeit zu betäuben. Sein Tag war auf die Minute genau eingeteilt und verplant. Zwei Sekretärinnen wachten über seinen Terminkalender.
Auch am Abend des siebten Tages nach dem Tod seiner Frau weilte Kronberger wieder in dem Totenzimmer. Niemand hatte hier Zutritt. Kronberger erneuerte auch die Blumen selbst. In den nächsten drei Wochen standen ihm keine Geschäftsreisen bevor. So konnte er jeden Abend bei seiner geliebten, toten Frau verbringen.
Das Gespräch, das er mit Amann geführt hatte, kam dem Bankier wieder in den Sinn.
Auch so ein Scharlatan, dachte er. Alles umsonst.
Kronberger fühlte sich müde. Er sah auf seine Armbanduhr. Es waren zwei Minuten bis Mitternacht. Er schaute seine schöne, tote Frau an.
„Ach, Irene, wir haben so wenig voneinander gehabt. Knapp vier Wochen waren wir erst verheiratet gewesen, als es geschah.“
In Gedanken versunken blickte Kronberger auf die Tote nieder. Im Geiste sah er sie vor sich, voller Leben, lachend. Ein mattes Lächeln huschte über seine Züge.
Plötzlich sah er auf. Hatte ihn ein Geräusch gewarnt, oder war es sein Instinkt? Er erstarrte.
Die seidenen Gardinen bewegten sich, teilten sich. Aus dem Schatten trat ein Mann. Es war genau Mitternacht. Der Mann war klein. Er trug einen altmodischen schwarzen Anzug mit Weste, silberner
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