0720 - Zwei Verdammte aus Aibon
sprach. Aber Jessica verstand die Warnung sehr gut.
Und sie hatte auch eine Gänsehaut bekommen, zudem kam ihr der Blick dieser Person in der grünen Bluse vor wie eine Eisdusche.
»Darf ich trotzdem fragen, wie meine Lebensretterin heißt?«
»Nein.«
»Gut, dann sind wir quitt. Vielen Dank noch mal.« Jessica Long nickte der anderen zu und ging.
Sie wußte, daß ein Augenpaar gegen ihren Rücken starrte, doch sie hütete sich, auch nur einmal den Kopf zu drehen. Die Warnung hatte ihr tatsächlich gereicht.
Eigentlich hätte sie rennen wollen, doch sie ging normal weiter. Nur keine Schwäche zeigen, obwohl sie sich zum Heulen elend fühlte. Als sie den Wald hinter sich gelassen hatte, da hatte sie das Gefühl, aus einer Hölle in den Himmel zu kommen.
Kein Wechselspiel zwischen Hell und Dunkel mehr. Der klare Herbsthimmel lag wie gezeichnet über ihr. Die Landschaft war ein einziges wunderbares Gemälde, in das sich hinein der bunte Rausch der Farben ergoß. Wundervoll…
Sie drehte sich um.
Nichts war mehr zu sehen. Die Dunkelhaarige war ihr nicht gefolgt. Sie schien überhaupt nicht mehr existent zu sein. Ihr Erscheinen, dann die Grube, das alles war ein Traum, ein Alpdruck, der aber jetzt hinter ihr lag.
Wäre nicht der Gestank gewesen, der aus ihrer Kleidung strömte, hätte sie alles mit anderen Augen betrachtet und nicht durch die Brille der Furcht.
Ihr fiel ein, daß sie auf dem Herweg ein kleines Rinnsal gesehen hatte. Dort wollte sie hin und sich so gut wie möglich säubern.
Jessica war mit einem guten Orientierungssinn ausgestattet. Sie fand den schmalen Bach sehr schnell, reinigte wenigstens ihre Jacke und dachte daran, daß sie die andere Kleidung erst in London säubern würde. Sie wollte den Ratschlag befolgen und verschwinden. Aber sie würde zurückkehren.
Das stand fest.
Das Wasser vor ihr sah aus wie ein langgezogener, sich bewegender Spiegel. Sein Plätschern konnte beruhigen, es überdeckte andere Geräusche, und doch hörte Jessica das Knacken hinter sich.
Sie fuhr noch in der Hocke sitzend herum!
Strauchwerk, dürr und sperrig. Wie tot hing das braune Laub zwischen den Zweigen.
Nur das Laub oder auch ein Gesicht?
Jessica hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Daß hinter dem Gestrüpp jemand hockte und auf ihren Rücken gestarrt hatte. Sie brauchte nur hinzugehen, um nachzuschauen, das aber traute sie sich nicht. Sie fürchtete sich. Schreckliche Visionen peinigten sie, dabei dachte sie an die Warnung der Frau.
Erkennen konnte sie nichts. Aber sie hörte etwas.
Das leise Rascheln, als sich jemand durch das Laub auf dem Boden bewegte. Es war bestimmt keine Schlange, die ihren Weg suchte, dazu war der Körper zu groß.
Ein Mensch zog sich zurück…
Es war ihr nicht möglich, herauszufinden, ob es ein Mann oder eine Frau war, aber sie dachte daran, wie sehr sie sich beobachtet gefühlt hatte. Für sich war es vorstellbar, daß sich die Unbekannte nicht allein durch den Wald bewegte.
Dann änderte sich das Geräusch. Dumpfe Trittgeräusche klangen auf. Sehr schnell wehten sie davon, und Jessica atmete zum erstenmal seit langer Zeit wieder durch.
Jetzt fühlte sie sich besser.
Sie beeilte sich trotzdem. Dieser herrlich herbstliche Wald hatte für sie seinen Zauber verloren. Er kam ihr jetzt bedrohend und abweisend vor, als wäre das nicht mehr die normale Welt, sondern eine andere, die sich wie eine Glocke über die Umgebung gestülpt hatte.
Was ging hier vor?
Jessica dachte daran, als sie sich aufrichtete und weiterging. War es tatsächlich eine andere Macht?
War etwas Unheimliches und Unbegreifliches geschehen?
Sie konnte es nicht sagen, sie hatte überhaupt keine Erklärung für all die Boshaftigkeiten, aber eines stand längst fest. Sie würde John Sinclair davon berichten…
***
Einige Stunden später.
Jessica Long war enttäuscht, als sie den Telefonhörer auf die Gabel legte. Sie hatte es nicht geschafft, den Geisterjäger zu erreichen. Er sei unterwegs, hieß es, und die Stimme seiner Sekretärin hatte sich ziemlich spitz angehört.
Das Telefon stand im Flur der kleinen Pension, wo sich auch die Treppe nach oben hinzog. Mit müden Schritten ging sie die Stufen hoch. Sie traf die Besitzerin, die dabei war, die Etagendusche zu putzen. Die Frau war schon älter und hörte auf den Namen Gladys McGuire. Als Jessica kam, ließ sie den Putzlappen sinken und drehte sich in der gebückten Haltung um. »Wieder kein Glück gehabt, Miß Long?«
»Leider
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