0724 - Vampirträume
Launen ihrer Herren. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Diener den Kopf verlor, weil er falsch temperierten Tee serviert hatte.
Aber noch etwas anderes war ihm bei dem abendlichen Spaziergang aufgefallen. Der Trakt, der normalerweise der Gemahlin des Hauses Vorbehalten war, zeigte deutliche Spuren einer Nutzung, war jedoch verwaist. Dafür konnte es mehrere Gründe geben: Tod, Verbannung, eine lange Reise. Vielleicht gab es auch keine Gemahlin, nur eine Geliebte, die ab und zu den Trakt benutzte.
Youweis natürliche Neugier war geweckt. Wie die meisten Menschen bei Hof interessierten ihn Klatsch und Gerüchte über alle Maßen, aber in diesem Fall war es mehr der Selbsterhaltungstrieb, der ihn motivierte. Je mehr er über seinen Gastgeber wusste, desto besser war er zu manipulieren.
Die Dienerin fasste ihn am Arm und half ihm, einige Treppenstufen zu überwinden. Jemand musste ihr gesagt haben, dass er schlecht sah. Er bemerkte es jetzt bereits bei seinen Aufzeichnungen, denn mittlerweile musste er den Kopf so nah an das Papier bringen, dass seine Nase fast dagegenstieß.
»Guten Morgen, Wang Youwei«, sagte eine Stimme, die er als Tsa Mo Ras erkannte. »Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht.«
Youwei verneigte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Nach dem hellen Sonnenlicht im Garten benötigten seine Augen Zeit, um sich den veränderten Lichtverhältnissen anzupassen. Er ließ sich von der Dienerin zu einem Sitzkissen führen und setzte sich schwerfällig.
»Guten Morgen, Tsa Mo Ra«, sagte er, als er seinen Gegenüber endlich klar erkennen konnte. »Eure Gastfreundschaft ist ein Beispiel für uns alle. War Eure eigene Nacht angenehm?«
Tsa. Mo Ra ging auf das Spiel ein, und so verbrachten sie das Frühstück mit einem angenehm leeren Austausch von Höflichkeitsfloskeln. Erst als die Diener alles abgeräumt und frischen Tee aufgetragen hatten, wagte Youwei einen Themawechsel.
»Entschuldigt meine Neugier, aber wie kommt es, dass ein Mensch wie Ihr in Ehren unter Blutsaugern leben kann und nicht versklavt wird, wie die armen Teufel, die ich in den Gassen sah?«
Tsa Mo Ra schien die Frage schon oft gehört zu haben, denn er antwortete ohne Zögern. »Weil sie nicht glauben, dass ich ein Mensch bin. Ich altere nicht, werde nie krank und Verletzungen heilen schneller als bei normalen Menschen.«
»Aber wenn Ihr kein Mensch seid…« Youwei ließ den Satz unvollendet.
Tsa Mo Ra hob die Schultern. »Was bin ich dann? Ich weiß es nicht. Mein Leben vor meiner Ankunft in Choquai ist wie ein weißes Blatt. Früher habe ich oft darüber nachgedacht, aber mittlerweile sind das nur noch Gedankenspiele. Ich lebe in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit.«
»Und Ihr habt es weit gebracht«, sagte Youwei. »Aus dem Nichts zu kommen und bis zum Hofzauberer aufzusteigen, das ist eine bemerkenswerte Karriere. Ihr müsst ein Meister auf dem Gebiet der dunklen Künste sein.«
Tsa Mo Ras Antwort war bescheiden, wie man es bei einer solchen Diskussion erwartete. »Ich übe mich nur darin.«
Youwei sah seine Gelegenheit gekommen. »Dann ist Eure Gemahlin sicherlich sehr stolz auf Euch.«
Der Blick seines Gegenübers verriet ihm, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Abwartend beobachtete Youwei, wie er ein wenig Tee in seine fast volle Tasse goss und kurz zum Fenster hinaussah.
»Ich habe mir erlaubt«, sagte Tsa Mo Ra, »einen Heiler für Euch zu rufen. Er ist gerade eingetroffen.«
Ich habe sogar einen sehr wunden Punkt getroffen, dachte Youwei zufrieden. Er neigte den Kopf. »Ich danke für Eure Aufmerksamkeit.«
Schweigend saßen sie sich gegenüber, bis ein Diener die Ankunft des Heilers Wu Xihou verkündete. Tsa Mo Ra ließ ihn hereinbitten. Youwei hörte ein charakteristisches Altmännerschnaufen, dann betrat der Heiler gestützt auf zwei Stöcke den Raum. Er war so alt, wie sein Atmen klang, krummbeinig, kahlköpfig und zahnlos. Tsa Mo Ra begrüßte ihn mit deutlicher Herzlichkeit und wandte sich an Youwei.
»Das ist Wu Xihou. Er ist ein Mensch und seit mehr als siebzig Jahren für die Gesundheit der Sklaven zuständig. Ich musste ihn selbst schon in Anspruch nehmen, und dass ich hier stehe, verdanke ich nur seinem großen Können.«
»Unsinn«, nuschelte Wu schwer verständlich. »Buddha wollte dich nur noch nicht sehen, was ich gut verstehen kann.«
Er ist ein Buddhist, dachte Youwei mit sinkendem Respekt. Seit einiger Zeit schon machte sich diese neue Sekte im Reich
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