0727 - Mystic, der Maniac
Tür schleifte über den Boden und knarrte in den Angeln, so daß Suko einen Schauer bekam, der über seinen Rücken rieselte.
Der Raum war finster, aber nicht tot. Suko konnte zwar nichts sehen, dafür jedoch etwas spüren. Er wußte genau, daß zwischen den dicken Wänden etwas lauerte. Etwas Schreckliches, Grauenhaftes, mit dem Verstand kaum zu erfassen, das man hinnehmen und gleichzeitig bekämpfen mußte. Er war sicher, nun die andere Seite der Weißen Hexe kennenzulernen. Er ging innerlich auf Distanz zu ihr.
Das einst so gute Verhältnis zwischen ihnen war wenigstens von seiner Seite her gestört.
»Ich werde vorgehen«, hörte er sie sagen, und darüber war er froh.
Er trat einen kleinen Schritt zur Seite, um Yannah passieren zu lassen.
Mit der brennenden Kerze in der Hand betrat er das Verlies. Zuckendes licht, Schatten und Helligkeit, die ein Muster schufen, das über den Boden der Wände huschte.
Das Verlies war nicht leer.
Da war jemand…
Suko sah ihn noch nicht, weil das Licht nicht ausreichte, die Dunkelheit zu durchdringen.
Unter Yannahs Füßen knirschte der Dreck, als sie tiefer in das Verlies hineinschritt.
Dabei bewegte sie die Flamme der Kerze in verschiedene Richtungen. Nicht zum Spaß, sondern weil sie eben die anderen Dochte anzünden wollte. Sie schauten aus den Kerzen hervor, die überall verteilt standen.
Allmählich erhellte sich der Leichenkeller. Lichtinseln entstanden. Sie breiteten sich aus, sie trafen sich zu einem einzigen großen Fleck.
Helligkeit vertrieb die Düsternis.
Suko konnte sehen.
Und was er sah, traf ihn beinahe wie der Schlag in die Magengrube. Er wußte nun, daß vor ihm der Mörder hockte…
***
Welch eine Gestalt!
Suko hielt für einen Moment den Atem an, weil er mit einem derartigen Anblick nicht gerechnet hatte. Es war kein Mensch, kein Roboter, auch kein Monster.
Es war eine Mischung aus allen dreien.
Die Gestalt saß etwas schief auf einem rot gepolsterten alten Stuhl, der aus einem Schloß zu stammen schien. Der Kopf sah aus wie ein Schädel aus Metall. Er war kantig geformt, rechteckig, und erinnerte mehr an den Schädel eines Skeletts, vielleicht deshalb, weil die Haut so unwahrscheinlich dünn war, die sich über die Knochen spannte.
Augen wie glatte, ausgeschaltete Lampen. Ein Mund, der nicht mehr als ein schiefes Loch war.
Lange, dünne Arme, ein knochiger Oberkörper, an einigen Stellen aufgerissen, ohne daß Blut zu sehen gewesen wäre. Die Beine, die aussahen wie geschälte Äste, waren von einer zerrissenen blauen Hose bedeckt, die bis zu den Waden reichte. Die Füße steckten in schlappenähnlichen Schuhen.
Die Gestalt rührte sich nicht. Sie saß nur da und glotzte den Chinesen mit ihren blanken Metallaugen an.
Suko hatten nach einigen Sekunden die erste Überraschung verdaut. Natürlich lagen ihm zahlreiche Fragen auf der Zunge, die er allerdings zunächst zurückhielt.
Yannah nickte.
Da sie nicht redete, überwand sich Suko schließlich und wollte wissen, wen er vor sich hatte.
»Ich nenne ihn Mystic.«
Das war nicht viel. »Mehr nicht?«
»Nein.«
»Lebt er?«
Yannah nickte.
»Er hat auch getötet?«
»Ja.«
»Warum?«
Sie lachte ebenso leise, wie sie die Antworten gegeben hatte. »Es ist ganz einfach. Mystic ist unheimlich wichtig für mich. Er ist mein Führer gewesen. Durch ihn bin ich erst zu dem geworden, was ich heute bin. Er hat mir alles gezeigt. Er wies mich ein in die Kunst der Zauberei, der Hexerei. Mystic war mein Lehrer.«
»Ein toter Lehrherr…«
»Nein, Suko, nein! Er lebt! Und es ist mehr als gut, daß er noch lebt. Ich habe ihn dir bisher nicht gezeigt. Ich hatte ihn auch hier im Leichenkeller verborgen gehabt. Ich wollte zudem nicht, daß er wieder in mein Leben hineintritt, nun aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo es einfach nicht mehr anders geht. Mystic wird mich beschützen.«
Suko drehte den Kopf, um Yannah anzuschauen. Beide standen sich gegenüber. »Vor wem soll er dich beschützen?«
»Vor meinen Feinden.«
»War der Tote ein Feind von dir?«
»Nein, nur ein armer Teufel, das gebe ich zu. Ich habe ihn zu Mystic gebracht, damit er zu Kräften kommt. Es ist sein Blut gewesen, daß ihn erweckt hat.«
»War oder ist er ein Vampir?« fragte Suko.
»Vielleicht - vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist er alles zusammen. Er ist ein Zauberer, ein Magier, er ist ein Monster, er ist ein Könner und gleichzeitig ein Mystiker. Er war mächtig, damals, als es in Paris noch brandete, als diese
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