073 - Der Schlaechter
fragte: „Was ist mit Ihnen?“
„Mein Herz“, antwortete ich. „Es ist mit mir durchgegangen, als Sie von Paris sprachen.“
Der Doktor brach in schallendes Gelächter aus.
„Hahaha! Paris also verlockt Sie? Wen verlockt Paris nicht?“
Wenn ich mich jetzt wieder an diese Szene erinnere, wird mir bewußt, wie wenig dieser so intelligente Mann von der heimlichen Bedeutung gewußt hatte, die hinter dem Wort „Paris“ und der Aufregung meines Herzens steckte.
„Also abgemacht“, sagte er. „Ich mache einen Roboter aus Ihnen. Es ist eine Operation ohne Schmerzen und ohne Risiko. Sie werden schlafen. Aber auch im wachen Zustand könnte ich Ihnen das Gehirn entfernen, ohne daß Sie es merken, denn die Gehirnsubstanz ist gegen Schmerz unempfindlich. So ist das. Ich möchte aber trotzdem Ihre Einwilligung.“
„Ja, ja“, sagte ich mit schwacher Stimme.
Ich wußte, daß ich sein Opfer war, das er auch ohne meine Zustimmung operieren würde. Und konnte ich einem Mann, dem ich mein Leben zu verdanken hatte, dieses persönliche Vergnügen verweigern? Daß es zu seinem Vergnügen war, wußte ich inzwischen nur zu gut. Er hatte sich der Wissenschaft ausgeliefert, war Chirurg aus Leidenschaft mit edlen Zielen, wenn auch die Mittel hierzu verwerflich waren.
Dieser Mann faszinierte mich in seinem fanatischen Egoismus. Er liebte es, von sich selbst zu sprechen und stolzierte vor mir auf und ab. Dabei ließ er mich auf meinem Stuhl nicht aus den Augen. Er rieb sich voller Selbstzufriedenheit die Hände. Seine unermeßliche Eitelkeit stand im krassen Gegensatz zu seinerüberragenden Intelligenz. In seinem Gehirn mußten zündende Geistesblitze und Dämmerzonen dicht beieinander liegen, ein Phänomen, das man oft bei Wahnsinnigen festgestellt hat.
Die Redseligkeit, mit der er mich stundenlang überschüttete, kam sicher daher, daß er sehr einsam war. Er lebte umgeben von seinen Robotern. Ich war wohl zur Zeit sein einziger Patient und noch nicht von seinem Willen geformt. Er brauchte einen bewundernden Zuhörer. Und ich lauschte ihm einerseits erstaunt, andererseits aus Dankbarkeit und schließlich auch aus Langeweile, denn ich hatte ja weiter nichts zu tun und war froh über jede Zerstreuung.
Wenn er einmal nicht über sich sprach, philosophierte er.
„Wenn man den Himmel als einen Platz ansieht, an dem Ruhe und Frieden herrscht und die Seelen der Toten in Ewigkeit ungestört leben, muß man dann nicht die Erde mit ihrer Hast für die Hölle halten? Ja, hier unten ist die Hölle, und ich bin der Teufel!“
Da er Gedankensprünge liebte, sagte er ohne Übergang:
„Dieser Mann haßt mich, und ich weiß nicht, warum.“
Ich wußte, daß er von Dr. Heintz, seinem Gefangenen, sprach, den ich fast nie zu Gesicht bekam.
„Können Sie mir erklären, warum er mich verabscheut, während Sie selbst mich doch lieben?“
„Vielleicht deswegen, weil Sie ihn seiner Freiheit berauben. Ich dagegen verdanke Ihnen mein Leben.“
„Ach, Unsinn. Die Wahrheit ist, daß er mich beneidet. Er weiß, daß ich ein besserer Chirurg bin als er. Intelligenter, reicher, in allem überlegen. Er will nicht mit mir zusammenarbeiten. Aber ich kriege ihn schon, ich breche seinen Willen. Wenn er nicht mitmacht, setze ich ihm einfach das Gehirn eines Affen in seinen Dickschädel, was halten Sie davon?“
Was sollte ich darauf antworten?
Ein anderes Mal drohte er, Dr. Heintz in einen Roboter zu verwandeln. Aber nicht bei ihm, sondern an mir wurde der Gehirneingriff gemacht.
Eines Abends verabreichte mir Kappe eine Spritze, nach der ich sofort einschlief. Als ich wieder erwachte, war mir, als käme ich aus dem Nichts. Der Chirurg stand vor mir und lächelte mich liebenswürdig an.
„Es ist passiert“, sagte er.
Ich sah ihn verständnislos an.
„Sie sind nun mein Roboter, mein Freund.“
Dr. Kappa erklärte mir genau die Operation, und so nach und nach begriff ich, daß er mir genau das Teilchen meines Gehirns entfernt hatte, das mir meinen eigenen Willen und meine Tatkraft gab. Von nun an war ich ein vollkommen passives Wesen, unfähig zu entscheiden und zu handeln, außer wenn Dr. Kappa mir irgendwelche Befehle gab, die ich ausführen mußte.
Daß ich diesen Zustand als ganz angenehm empfand, war eine Folge dieser Operation.
In den folgenden Tagen schärfte er mir immer wieder ausführlich ein, was meine Aufgaben seien, sobald ich mich in Paris niedergelassen hätte. Allein das Wort „Paris“ und die Aussicht, bald
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