0731 - Die Blüten-Bestie
ausbreitete.
So stark, daß sie eine Gänsehaut bekam und in ihrem Hals die Trockenheit spürte.
Kathy hielt die Terrine in der linken Hand. Mit der freien rechten öffnete sie die Tür. Mit dem Knie stieß sie die Tür auf und ging durch den Spalt.
Fremde Welt?
Ja, es war eine fremde Welt geworden. Zwar sah alles noch so aus wie sonst, die Möbel standen an ihren Plätzen, aber es hatte sich trotzdem einiges verändert.
Lag es am Licht? Lag es an der Luft? Hinter dem Fenster schimmerte die Sonne ungewöhnlich hell und gleichzeitig blaß, wobei ihre Strahlen nicht so konzentriert wirkten, sondern in der Form eines Kelches durch die Scheibe in den Raum fielen. Das Licht konzentrierte sich allein auf die Kranke und auf deren Bett. Dort saß Dorothy Mainland wie in einen Schleier gehüllt und erinnerte an ein überirdisches Wesen.
Kathy schob die Tür mit dem Fuß wieder zu. Dann lächelte sie, doch sie wußte selbst, daß es nur zu einem Grinsen reichte. Sie war eben keine so gute Schauspielerin.
Langsam ging sie vor.
Doro saß aufrecht im Bett. Ihr Gesicht zeigte eine seltsame Blässe. Es hatte sich verändert, und das wiederum mußte mit der Haut zu tun haben, die so dünn aussah.
Noch etwas stimmte nicht.
Zum erstenmal roch auch Kathy den ungewöhnlichen Blütenduft, der durch den Raum schwebte. Es kam ihr vor, als hätte jemand zahlreiche Blumensträuße verteilt, wobei nicht einer von ihnen sichtbar war. Alle hielten sich unter der Glocke der Unsichtbarkeit versteckt.
Woher stammte der Geruch?
Es wollte ihr einfach keine Lösung einfallen. Im Winter blühten in diesen Breitengraden keine. Außerdem war das Fenster verschlossen.
Da war einiges faul…
»Was haben Sie denn mitgebracht, Schwester?« fragte Doro, als sich Kathy ihrem Bett näherte.
»Es gab keine Fish und Chips.«
Für einen winzigen Moment wurde das Gesicht zu einer bösen Grimasse. Kathy sah plötzlich Knochen unter der dünnen Haut. So scharf und kantig, als wollten sie die Haut einfach wegsprengen.
»Was anderes will ich nicht haben, Schwester.«
Kathy blieb gelassen. Sie besaß Erfahrung auch im Umgang mit schwierigen Patienten. »Bitte, Dorothy, Sie sollten es zumindest einmal probieren. Ich habe nur eine Suppe bekommen. Das Küchenpersonal ist um diese Zeit überlastet.« Sie stellte die Terrine ab und hob den Deckel hoch. Dampf stieg auf, der mitgebrachte Löffel rutschte bis an den Rand vor und blieb schräg liegen.
Doro schaute in die Terrine. Sie schnüffelte, sie bewegte die Nase, die ebenfalls wie ein bleiches Knochengerüst aussah, dann schüttelte sie den Kopf. »Die will ich nicht.«
»Bitte, probieren Sie.«
»Nein!«
Kathy verdrehte die Augen. Sie ärgerte sich darüber, den Weg umsonst gelaufen zu sein. Zudem hatte sich die Antwort so angehört, als wäre Doro mit keinem Wort vom Gegenteil zu überzeugen gewesen. Die blieb bei ihrer Meinung.
»Es sind auch Shrimps oder Krabben darin«, versuchte sie es noch einmal und kam sich lächerlich vor.
Doro schüttelte den Kopf. Dann beugte sie sich nach vorn und winkte Kathy näher zu sich heran.
Nur widerwillig folgte die Krankenschwester der Bewegung.
Das Gesicht mit der dünnen Haut sah sie jetzt aus unmittelbarer Nähe. Das nahm sie hin, es gab eben Menschen mit dünner oder dicker Haut. Etwas anderes waren die Knochen hinter der Haut. Sie malten sich scharf und hart dort ab. Ein Skelettschädel, gelblich schimmernd, dabei mit leeren, toten Augenhöhlen. Eigentlich ein furchtbarer Anblick, obwohl sich noch die Haut darüber spannte.
Kathy schauderte.
»Was hast du?«
»Nichts, bitte…«
»Doch, du hast was. Gefalle ich dir nicht?« Doro summte die Frage, und ihre Worte hatten sich hinterlistig angehört.
Kathy schrak zusammen. Eis rann ihren Rücken hinab. Sie stand auf der Schwelle zu einer anderen Welt. Vor ihr lag etwas Furchtbares, das sie nicht erklären konnte, das jedoch sichtbar war. Hier hatte das Grauen zugeschlagen und sich während der letzten zweiundzwanzig Jahre manifestiert.
Doro öffnete den Mund.
Sie hauchte Kathy an.
Die Schwester zuckte zurück. Der Atem, der ihr entgegenwehte, roch trotzdem nach fauligen, allmählich verwesenden Blumen, die irgendwo auf einem Friedhof lagen und, dort ihr trauriges Dasein fristeten.
Sie bekam Angst, wollte zurückzucken, aber die Hand der Kranken war schneller. Mit einem blitzartigen und sehr harten Griff umschloß sie Kathys Gelenk.
Erst hielt sie fest, dann zog sie die Schwester auf das Bett und
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