0739 - Teufelsträume
waren.
Rita überlegte, ob sie in die kleine Leichenhalle gehen und sich Jiri noch einmal ansehen wollte.
Nein, nur das nicht. Sie wußte, daß er auf gewaltsame Art und Weise ums Leben gekommen war.
Bestimmt sah er schrecklich aus, blutüberströmt und so kalt.
Sie wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er einmal gewesen war. So nett, so fürsorglich…
Immer wieder irrten ihre Gedanken zu ihm zurück. Er war für sie das Zentrum, er war der Mittelpunkt dieser Mühle, um die sich alles drehte. Noch immer saß sie am Fenster und merkte nicht, wie allmählich die Stunden verrannen.
Sie gingen vorbei, sie waren verloren. Mit jeder Sekunde, die verrann, kam auch Rita dem Tod näher. Früher hatte sie sich darüber keine Gedanken gemacht, nun aber war sie unmittelbar mit dem Tod konfrontiert worden, und da mußte der Mensch seine Einstellung ändern.
Wann erwischte es sie?
Immer öfter stellte sich Rita die Frage, denn sie war der Überzeugung, daß es nicht vorbei war. Es würde zurückkommen, das Böse hatte nur eine Atempause eingelegt.
Zudem war der Götze verschwunden.
Bestimmt lauerte er im Hintergrund, wartete eiskalt ab, denn die Zeit konnte eigentlich nur für ihn sein.
Wenn sich die Menschen wieder in Sicherheit wiegten, dann würde er zurückkehren und zuschlagen.
Hart, unbarmherzig und brutal!
Ja, so würde es laufen. Rita überlegte, ob sie den Polizisten ihren Verdacht mitteilen sollte. Es war nicht nötig, die beiden Männer würden auch so zurechtkommen.
Da sie in der letzten Nacht kein Auge zugetan hatte, verlangte die Natur irgendwann ihr Recht. Rita spürte die Müdigkeit in sich hochsteigen. Sie war zu einer schlappen Person geworden, zu einer Greisin, deren Knochen nicht mehr so wollten.
Es fiel ihr schwer, sehr schwer.
Sie spürte den Kopfschmerz, die Müdigkeit, und wenn sie hinausschaute, spiegelte sich dort auch ihr Zustand wider.
Alles grau in grau…
Rita stand irgendwann auf. Sie brauchte etwas zu trinken. Ihr Mund war ausgetrocknet. In der Küche fand sie noch den Tee. Er war kalt geworden, erfrischte sie jedoch. Sie konnte kaum denken, so sehr drückte die Müdigkeit. Als sie die Küche verließ, hatte sie Mühe, die Füße zu heben. Sie schleiften über den Teppich, und sie lauschte den kratzenden Geräuschen.
Langsam ging sie weiter. Im offenen Türrechteck zu ihrem Wohnraum blieb sie stehen.
Mit leeren Augen schaute sie gegen die Möblierung. Ihr war alles so vertraut und trotzdem fremd.
Wieso nur?
Plötzlich schrak sie zusammen. Ein Messer schien schräg den Körper durchschnitten zu haben.
Dabei war es nur das Telefon gewesen, das geklingelt hatte. Ein völlig normales Geräusch, auch wenn es in der Stille sehr laut geklungen hatte.
Wer wollte etwas von ihr? Wer sollte sie schon anrufen? Jiri Sabka war tot, mit anderen Menschen hatte sie zwar Kontakt, aber man rief sich nicht an, sondern sah sich im Ort.
Wie oft hatte es geschellt?
Viermal, fünfmal?
Sie wußte es nicht, aber das Schrillen war so verflucht nervtötend. Es schien in dem Raum alles beherrscht zu haben, es war das Wesen, das die Kontrolle ausübte.
Sie schluckte.
Abheben oder nicht?
Rita wollte nicht. Schließlich siegte die Neugierde. Sie mußte einfach wissen, wer da mit ihr in Kontakt treten wollte. Möglicherweise waren es Polizisten.
Deshalb hob sie ab.
Es war eine normale Bewegung, aber in diesem Fall war es anders.
Es kam ihr vor, als hielte sie ein schweres Gewicht in der Hand. Der Hörer fühlte sich so anders an, ebenfalls bleiern und gleichzeitig weich, als könnte sie ihn zusammendrücken.
Dann berührte sie das rechte Ohr. Die Plastikmasse hätte kühl sein müssen, Rita aber kam sie warm vor, als würde sie gleich zerfließen.
Schlimm…
Sie holte tief Luft, schluckte dann, holte wieder Luft, aber sie meldete sich nicht.
Sie blieb stumm…
Und sie hörte nichts.
Keine Stimme, kein Flüstern, keine Worte, kein Atmen oder Zischen. Einfach nichts.
Trotzdem hatte sie jemand angerufen. Sie wußte nicht, wer es war, sie konnte ihn nur spüren.
Er lauerte, er war vorhanden, aber, so fragte sie sich, war er auch ein Mensch?
»Jaa…« Das Wort huschte schwach über ihre Lippen, obwohl sie es eigentlich nicht hatte sagen wollen.
Wieder nichts.
Und trotzdem blieb sie in dieser Haltung stehen und hielt den Hörer fest. Rita wußte einfach, daß sich jemand oder irgend etwas am anderen Ende der Leitung befand.
Etwas, das sie nicht erklären konnte, das einfach zu unheimlich
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