0751 - Gespenster der Nacht
ihm die Flucht fortzusetzen. Das hatte ihm Maitland verboten. Noch immer hallte in seinem Ohr der Befehl des Mannes wider.
»Du bleibst, Wehner!«
Und Wehner war geblieben, wenn auch nicht in der Halle. Als der Sarg, den er und Gläser aus dem Stollen geholt und zur Burg geschafft hatten, endgültig aufgebrochen war, da hatte er das Grauen nicht mehr mit ansehen können und war fortgelaufen.
Zuvor hatte er noch die bleiche Klaue gesehen, die sich durch einen Spalt gedrückt hatte. Schon diese Tatsache hatte ihn beinahe an seinem Verstand zweifeln lassen. Noch immer wusste er nicht genau, was sie eigentlich transportiert hatten, aber die Richtung Zombie schien schon irgendwie zu stimmen.
Jetzt lag er bäuchlings auf der Treppe. Wie lange er in dieser Position hing, wusste er nicht. Sein Atem ging keuchend und schwerfällig. Er wusste, dass er längst noch nicht in Sicherheit war, und für ihn gab es eigentlich nur zwei Möglichkeiten zur Flucht.
Eine führte hoch zur Tür, die andere in die entgegengesetzte Richtung, wobei Wehner nicht wusste, was sich dort unten befand. Er ging davon aus, dass die Treppe in einen Keller führte, was ihm bestimmt nicht gefiel, denn er wusste, wie schaurig und unheimlich Burgkeller oder Verliese sein konnten. Als Kind hatte er zusammen mit seinem Freund derartige Keller durchstöbert. Noch jetzt dachte er mit Schaudern daran, was sie dort unten an Ratten und Mäusen gesehen hatten, und er erinnerte sich auch an den Blick der bösen Augen.
Hier würde er das Gleiche erleben.
Nur hörte er nichts. Kein Laut drang ihm aus der Tiefe und der absoluten Finsternis entgegen. Leicht gekrümmt lag er auf den Treppenstufen, und der heiße Atem stand wie eine Fahne vor seinem Mund. Keuchend und abgehackt kam er, wobei Wehner zudem vor Furcht zitterte. Sie schüttelte ihn regelrecht durch. Er hatte Mühe, das Klappern der Zähne zu verhindern. Dabei schwitzte und fror er gleichzeitig.
Es war die Angst, sagte er sich. Die verfluchte Angst vor dem Unheimlichen. Er wusste nicht, wie es weiterging. Für ihn war allerdings klar, dass er jetzt das einzige Opfer war, nachdem Willi Gläser die Flucht gelungen war.
Auch die Dunkelheit sorgte für seine Furcht. Sie war so bedrückend. Er glaubte kaum, einmal richtig und normal durchatmen zu können. Von Sekunde zu Sekunde wurde das Gefängnis enger, und am liebsten hätte er geschrien.
Wehner beherrschte sich. Er redete sich selbst ein, dass es ihm nicht half, wenn er durchdrehte. Damit machte er alles nur noch schlimmer.
Bis er den Mut fand, sich hinzusetzen, dauerte es eine Weile. Dann aber hockte er auf der Treppenstufe und zog die Knie an. Die Luft roch alt und verbraucht. Feuchtigkeit legte sich klamm auf seine Kleidung, und die Finsternis schien ihn wie ein Tuch ersticken zu wollen. Er wollte die Angst nicht zu hoch kommen lassen, er musste, so schwer es ihm auch fiel, einen klaren Kopf behalten. Vor allen Dingen brauchte er Licht, denn das bedeutete Hoffnung. Dann konnte er zumindest sehen, in welch einer Lage er sich befand.
Ein Feuerzeug trug er bei sich. Seine rechte Hand fand den Weg in die Seitentasche des Jacketts. Schon bald spielten seine Finger mit dem Einwegfeuerzeug.
Vorsichtig zog er es hervor und hatte Mühe, es festzuhalten. Seine Finger waren einfach zu nass. Zweimal rutschte die Daumenkuppe ab, dann endlich bekam die Flamme Nahrung und schob ihr blasses Licht in die Dunkelheit.
Es war nur ein schwacher, blasser Streifen, der den unmittelbaren Umkreis erhellte. Viel mehr konnte Wehner nicht sehen. Die Wände als Schatten, vor sich die alten Stufen, sehr holprig und mit einer gewissen Schicht bedeckt.
Auf der Stufe hockend drehte er seinen Körper der Tür zu und streckte dabei behutsam den Arm aus. Die Flamme leuchtete noch immer, aber sie war einfach zu schwach, um die Tür zu erreichen.
Auf dem Weg dorthin wurde sie von der Dunkelheit verschluckt.
Fehlen nur noch die Ketten und deine Gefangenschaft ist perfekt, dachte er. Dann verlosch die Flamme. Wehner spürte bereits den Schmerz an der Daumenkuppe.
Wohin also?
Er hatte sich entschieden, den Weg wieder zurückzugehen. Hin zur Tür, sie dann öffnen – er hoffte, dass sie nicht verschlossen war – und versuchen zu verschwinden. Vielleicht hatte es sich Maitland überlegt und die Verfolgung von Willi aufgenommen. Damit hätte er dann Gelegenheit bekommen, sich davonzustehlen.
Dieser Gedanke gab ihm so viel Mut, dass er sich mit einem Ruck in die Höhe stemmte.
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