0751 - Gespenster der Nacht
weisen wollte.
Wir bewegten uns in Serpentinen quer über den Hang. Einmal rutschte Harry aus und landete auf dem Boden. Dabei fluchte er, raffte sich wieder auf und setzte seinen Weg fort.
Ich blieb ihm auf den Fersen, ließ die tanzende, bleiche Lichtlanze nicht aus den Augen, und dann sahen wir, was eigentlich passiert war. Auf halber Höhe des Berghangs lag der schwere Lastwagen auf der Seite. In seiner Lage sah er aus, als hätte er sich in einem Netz verfangen, aber es waren sehr dicht beieinander stehende und auch starke Baumstämme, die ihn aufgefangen hatten.
Er war zur Seite gekippt, lag dort wie ein Stahlkoloss, dem sämtliche Energie genommen worden war. Seine äußere Hülle schimmerte metallisch, sie zeigte zudem eine Schicht aus Dreck und Blättern, die an ihm klebte wie eine schwarze Haut.
Als der Lichtkegel eine der Scheiben traf, glänzte diese schwach auf und warf einen dunklen, blitzenden Reflex. Von dem Fahrer sahen wir keine Spur, aber wir stellten fest, dass sich beim Aufprall eine Tür geöffnet hatte.
Als wir näher kamen und auch in das Fahrerhaus hineinleuchten konnten, stellten wir fest, dass es leer war. Der Kommissar war auf einen schräg liegenden Baumstamm geklettert, von dieser Position aus hatte er den besten Überblick.
»Nichts von ihm zu sehen, John.«
Ich hatte mittlerweile auch meine Lampe hervorgeholt. Wir leuchteten in verschiedene Richtungen. Irgendwo mussten wir den Fahrer schließlich finden. Er konnte nicht vom Erdboden verschwunden sein.
Ich entdeckte ihn.
Im selben Augenblick zog sich mein Magen zusammen. Die Kehle würde mir trocken. Der Mann war höchstwahrscheinlich nicht angeschnallt gewesen, sonst hätte er nicht mit einer derartigen Wucht und auch nicht so weit aus dem Fahrzeug geschleudert werden können. Sein Körper hatte sich zwischen dem Geäst einiger Nadelbäume verfangen und lag dort wie eine Puppe.
Durch ein Zeichen machte ich Harry klar, dass ich ihn gefunden hatte. Der Kommissar verließ seinen relativ luftigen Platz und kam zu mir. Ich war bereits auf dem Weg zu dem Fahrer und hielt die Lampe so, dass der Strahl direkt sein Gesicht treffen konnte. Er erwischte nicht nur das Gesicht, sondern auch den Kopf, der in einem ungewöhnlich verdrehten Winkel vom Hals abstand.
Der leere Blick seiner Augen sagte mir genug. Dieser Mann lebte nicht mehr. Nach dem Herausschleudern aus seinem Fahrzeug musste er sich durch den Aufprall das Genick gebrochen haben.
Noch immer stand der Schrecken der letzten Sekunden in seinem Gesicht, und mir floss eine kalte Haut über den Rücken.
Harry blieb neben mir stehen. »Tot?«, fragte er. Ich hörte, wie er den Speichel schluckte.
»Nichts mehr zu machen.«
Stahl nickte und strich über seinen Nasenrücken. Dann ging er noch näher an den Mann heran und leuchtete ihn ebenfalls an. Ich wusste, was er vorhatte, und fragte ihn deshalb: »Kennst du ihn?«
»Nein, er ist mir unbekannt.«
Da der Mund offen stand, konnte ich hineinleuchten und entdeckte keine spitzen Vampirhauer. Das beruhigte mich einigermaßen. Er war nicht zu einem Blutsauger geworden.
Der Kommissar untersuchte seine Taschen. Er fand Geld, aber auch einen Ausweis, den er hochhielt und im Schein der Lampe las.
Ich hörte seinen Worten zu.
»Er heißt Willi Gläser und ist in Magdeburg geboren. Das aber sagt mir auch nichts.« Er steckte den Ausweis ein. Etwas ratlos hob er die Schultern.
»Was hat er dort oben gewollt?«, murmelte ich. Es stand für mich fest, dass er nur von der Burg gekommen war. »Was hat er mit Viktor Maitland zu tun gehabt?«
»Keine Ahnung, John, wirklich nicht.«
»Kann ich mir denken. Aber wir sollten nicht nur von ihm ausgehen, sondern auch an den Lastwagen denken. Wer mit einem derartigen Fahrzeug unterwegs ist, tut das sicherlich nicht zum Spaß. Da steckt etwas dahinter. Er hat möglicherweise etwas abgeholt oder zur Burg gebracht. Was denkst du?«
»Gar nichts. Wenn möglich, sollten wir auf der Ladefläche nachschauen.«
Der Meinung war ich ebenfalls. Leicht war es nicht. Wir mussten uns schon etwas einfallen lassen, um die Klappe nach unten zu drücken. Zu zweit leuchteten wir das Dunkel der Ladefläche aus.
Was wir zu sehen bekamen, konnte man mit einem Wort zusammenfassen. Dreck! Nichts als Schmutz und Staub, aber noch etwas anderes, das ich nicht sah, sondern roch, denn auf diesen Gestank reagierte meine Nase sehr empfindlich.
Harry Stahl hörte mich schnüffeln. Er war nicht so sensibilisiert wie ich.
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