076 - Der magische Schrumpfkopf
Nachtluft. Hell und klar standen die Sterne am Himmel. Der Fabrikhof war erleuchtet. In einer der Hallen wurde Nachtschicht gearbeitet. Lord hörte das Kreischen einer Eisensäge, das Geräusch der Revolverdrehmaschine. Hinter einem der Fenster sah er den Lichtschein und das Flackern eines Schweißbrenners. Sonst liebte es Lord, die einzelnen Arbeitsgänge in seiner Fabrik zu beobachten, aber in dieser Nacht hatte er keine Lust, noch einmal nach der Spätschicht zu sehen. Er ging zum Pförtnerhäuschen, in dem ein kleiner, alter Mann saß, der die Zeitung las. Der Mann, der Nachtpförtner Siebert, sah auf, als er Lords Schritte hörte.
„Ach, Herr Lord! Guten Abend. Mein … mein herzlichstes Beileid zum Tod Ihrer Frau. Wirklich schlimm, daß sie so plötzlich sterben mußte.“
„Ja“, sagte Lord. „Ja.“
Die Beileidsbezeugungen aller möglichen Leute waren auch etwas, womit er in den nächsten Tagen fertig werden mußte.
Er nahm den großen Schlüsselbund vom Haken, verließ das Pförtnerhäuschen und ging zu einer der im Dunkeln liegenden Fabrikhallen. Er schloß auf, drückte auf den Lichtschalter. Die Neonröhren flackerten, flammten auf.
Lord sah die Werkbänke, die Drehbänke, Stanz – und Preßmaschinen in der langgestreckten Halle, die Bohrmaschine und die vielen anderen Maschinen. Die Arbeitsplätze waren verlassen, die gläserne Kabine des Meisters, zu der eine Treppe hinaufführte, leer.
Lord trat zu der großen Metallpresse. Er drückte den grünen Knopf, auf dem‚ Ein’ stand. Der Elektromotor begann zu summen.
Der Fabrikant nahm den Schrumpfkopf aus dem Karton, hielt ihn an den Haaren. Der Schrumpfkopf pendelte hin und her. Die schwarzen Augen blitzten und funkelten, als erfülle sie ein dämonisches Leben.
Lord nahm den Schrumpfkopf und warf ihn in die Preßmaschine. Er rollte in die Presse und war nicht mehr zu sehen. Lord griff nach den beiden Hebeln, mit denen der Arbeitsvorgang ausgelöst wurde, und betätigte die Maschine ein paarmal. Er hörte das metallische Stampfen der Presse und war zufrieden. Der Schrumpfkopf mußte zu Brei gequetscht worden sein. Beim nächsten Reinigen der Maschine würde jemand die formlose Masse entfernen.
Jetzt fühlte Lord sich viel wohler. Er verließ die Fabrikhalle, brachte die Schlüssel zurück und ging zur Villa. Er legte sich zu Bett. Die Leuchtziffern des elektrischen Weckers zeigten, daß es wenige Minuten nach Mitternacht war.
Lord hatte schreckliche Alpträume. Immer wieder fuhr er aus dem Schlaf hoch und knipste das Licht an. Im Traum sah er Cazador höhnisch kichernd und händereibend auf dem Fabrikhof tanzen. Dabei schrie der Bucklige: „Araquui ist noch nicht fertig mit dir! Araquui hat noch viel mit dir vor!“ Und am Himmel stand nicht die Sonne, sondern fahl leuchtend der Schrumpfkopf mit bleckenden Zähnen. Seine schwarzen Augen funkelten, und die langen, für den Kopf viel zu üppigen Haare hingen herab, bewegten sich, griffen nach Frederik Lord, umschlangen ihn, schnürten ihm die Luft ab.
Er wehrte sich, schlug um sich, strampelte, doch der Druck wurde immer stärker. Lord sagte sich, daß er träume, daß er nur wach zu werden brauche, um all dem zu entrinnen. Verzweifelt bemühte er sich, die Augen zu öffnen, aber es war unendlich schwer, wie Schwimmen in flüssigem Blei. Endlich konnte Lord sich im Bett aufsetzen, tastete nach der Lampe – und stieß mit der Hand gegen den Schrumpfkopf, der ihn in die Finger biß.
Im Traum schrie Lord, brüllte, ächzte. Das Teufelsding grub die Zähne bis auf den Knochen in seine Finger.
, Wach auf!’ sagte sich Lord.‚ Wach auf!’ Er zwang sich wach zu werden. Schweißgebadet wachte er auf, knipste das Licht an. Er sah sein vertrautes Zimmer, das Bett, den Nachttisch, den Schrank. Seine Kehle war wie ausgetrocknet. Er stand auf, wollte im Badezimmer ein Glas Wasser trinken.
Er öffnete die Tür, trat ein und erkannte, daß er nicht ins Badezimmer getreten war, sondern in den ins Gigantische vergrößerten Rachen des Schrumpfkopfs. Der Rachen schnappte zu.
Lord schreckte aus dem Schlaf auf, schweißgebadet. Er wußte nicht mehr, was Traum war und was Wirklichkeit. Sein Herz hämmerte. Jetzt erst stand er auf, ging wirklich ins Badezimmer, trank ein Glas Wasser. Lord war so übererregt, daß er in den Salon ging und einen doppelten Kognak trank.
Er setzte sich im Pyjama in einen der bequemen Ledersessel, die seiner Frau so gut gefallen hatten, rauchte eine Zigarre und
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