076 - Die Jenseitskutsche von Diablos
nach oben geklommen
sein konnte. Meine Mutter konnte mich nicht erreichen und alarmierte die
Feuerwehr. Die kam mit einem Rettungswagen und
fuhr eine lange Leiter aus. Ein Feuerwehrmann holte mich von der Mauer. Alle,
die unten warteten, wollten wissen, wie ich auf die glatte Mauer hinaufgekommen
sei. Ich sagte es ihnen. Ich bin geflogen, mit meinen Tretauto… Niemand
glaubte mir. Was damals geschehen war, blieb ein Rätsel, ein Mysterium, und es
war mein erstes Erlebnis mit etwas Unfassbarem und Grauenhaftem, das nicht
meiner Kontrolle unterstand.«
»So wenig wie das Geschehen vorhin, das ebenfalls ohne
Ihr Dazutun über die Bühne ging«, murmelte Larry Brent, dem die seltsame
Geschichte aus Fred Guillas Kindheit nicht aus dem Sinn ging.
»Genau sieben Jahre später... auch an meinem
Geburtstag und wieder an einem Abend«, fuhr der nun einundzwanzigjährige junge
Mann fort, dessen Vorfahren vor mehr als zwei Jahrhunderten aus Spanien in die
Neue Welt eingewandert waren.
»Ich war an diesem Tag vierzehn geworden... Es war ein
trauriger Geburtstag. Meine Mutter lag nach einer Operation noch im
Krankenhaus, und wir fürchteten alle, dass sie sterben würde. Eine Tante
versorgte unseren Haushalt. Aunt Claire... Sie war alleinstehend, und ihre
Lieblingsbeschäftigung war das Kochen. Am Nachmittag hatten wir mit meinen
Freunden gefeiert. Als der Abend hereinbrach, waren sie alle schon wieder zu
Hause. Es war keine fröhliche Stimmung aufgekommen. Ich spürte, dass etwas in
der Luft lag... Aunt Claire hatte Tränen in den Augen. Sie bemühte sich uns
gegenüber, sich nichts anmerken zu lassen. Aber meine Schwester und ich
kriegten das alles sehr genau mit. Es fing an, dunkel zu werden. Der Abend war
kühl, alles andere als einer jener Bilderbuch-Maiabende, von denen man so gern
spricht. Es war windig und regnete in Strömen. Ich zog eine Jacke über und
verließ klammheimlich das Haus. Ich hatte plötzlich den dringenden Wunsch, ins
Krankenhaus zu gehen und meine Mutter zu besuchen. Sie lag allein in einem
winzigen Raum. Es war ein Sterbezimmer, wie ich später erfuhr. Seit drei Tagen
lag sie dort, weil sie starke Schmerzen hatte und die Ärzte nichts mehr für sie
tun konnten. Unbemerkt schlich ich mich an den Schwestern vorbei ins Zimmer.
Auf einem winzigen weißen Tisch brannte eine Lampe, deren Schirm so gedreht
war, dass der Lichtschein am Bett vorbei auf den Boden ging. Dadurch wurde
verhindert, dass meine Mutter, falls sie die Augen aufschlug, geblendet wurde.
Auf Zehenspitzen trat ich näher. Ich war aufgeregt und atmete schnell. Meine
Mutter lag still in ihren Kissen. Ihr Gesicht war sehr blass und klein. Sie
hatte graue Haare bekommen, und ich erkannte sie kaum wieder. Ich erschrak, als
ich sie so liegen sah. Sie kam mir vor wie eine Fremde, sah so dünn aus, hatte
schmale Lippen und atmete kaum.
Das, was dann geschah, ereignete sich wie eine
Zeitrafferaufnahme im Film. Und genauso sehe ich es auch noch vor mir. Ich
beobachtete plötzlich ein riesiges Henkerbeil. Es war größer als ich und
so schwer, dass ich es unmöglich hätte halten können. Das sagten später
jedenfalls die Experten, die den Fall untersuchten. Das Beil sauste herab, und
schlug der Todkranken den Kopf ab! Ich hörte einen gellenden,
markerschütternden Schrei, worauf Ärzte und Schwestern zusammenliefen. Der
Schrei kam nicht aus dem Mund meiner Mutter, sondern über die Lippen einer
Schwester, die unbemerkt ins Zimmer getreten war, um nach der Kranken zu sehen.
Die Schwester lief auf mich zu, schrie Mörder! und rief Hilfe herbei.
Ich sah ihr verzerrtes Gesicht wie durch Nebel und begriff nicht, weshalb ich
mit einem Mal den Kopf meiner Mutter losgetrennt vom Körper erkennen konnte.
Auf dem Kopfkissen und dem Bett bildete sich eine große Blutlache. Ich wurde
gepackt und hinausgeschleppt. Zahllose Stimmen sprachen durcheinander. Die
Polizei kam. Ich bekam immer wieder die gleiche Geschichte zu hören, die jene
in das Sterbezimmer gekommene Schwester verbreitet hatte. Ich sollte
meine Mutter getötet haben! Man hätte mich mit einem riesigen Beil in der Hand
gesehen. Die Schwester hätte mit eigenen Augen beobachtet, wie ich das Beil
geschwungen und zugeschlagen hätte. Sie konnte die Mordwaffe genau beschreiben.
Es hätte sich eindeutig um eines jener alten Henkerbeile gehandelt, wie sie
früher bei Hinrichtungen Verwendung fanden... Man suchte das Zimmer, das
Krankenhaus und den Garten vor dem Fenster des Tatortes nach der Waffe
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