076 - Mimikri
Bullauge.
Argwöhnisch äugte er hindurch. Das Blickfeld blieb beschränkt; als er jedoch angestrengt durch die Fluten spähte, sah er die beiden Stränge in flinkem Rückwärtsschlängeln in dem Lavastollen verschwinden. »Sie ziehen sich zum Hydrosseum zurück. Ich weiß nicht wieso, aber diese Gelegenheit müssen wir nutzen. Vorwärts!«
Quart'ol drückte das Schott auf und paddelte eilig hinaus. Er verließ sich darauf, dass Mer'ol ihm folgte.
Dave McKenzie und Rulfan mussten schleunigst gewarnt werden.
***
Schon mehrmals war Ul'ba aufgefallen, dass das Wucherwesen für äußere Ablenkung sehr empfänglich war.
Dann verminderte sich die Betäubung, die seinen Geist belastete. Bisher hatte er jedes Mal wieder freier und klarer denken können. Nur waren diese Episoden bisher zu kurz gewesen, um daraus einen Vorteil zu ziehen.
Dann hatte es ihn alle Mühe gekostet, nicht an Flux'onda zu denken. Irgendwo im Hydrosseum erlitt sie das gleiche Los wie er. Falls die Bestie sie nicht schon gefressen hatte.
Unter dem Kuppeldach des Hydrosseums türmte sich eine große Menge wattiger, aber fester Kokons. Sie klebten zu Hunderten übereinander und reihenweise an den Mauern. In den Kokons harrten Hydriten, Man'tane und größere Fische ihres Schicksals. Es bestand daraus, im Magen des Wesens zu landen und verdaut zu werden.
Immer wieder hörte Ul'ba die vergeblichen Hilfeschreie seiner Mitbewohner - und danach die deutlich wahrnehmbaren Verdauungsgeräusche des fremdartigen Wesens.
Inzwischen hatte der junge Hydrit das Zeitgefühl verloren. Etwa zwei bis drei Zyklen mussten verstrichen sein, seit die Bestie Torkur heimgesucht hatte. ' Wie ein Erdrutsch hatte sich das Wucherwesen von der Landseite her über die Stadt gewälzt. Seine körperlichen Ausläufer waren unaufhaltsam durch sämtliche Zugänge nach Torkur eingesickert. Schalldruckgewehre und Blitzstäbe hatten keine größere Wirkung gehabt.
Entscheidend für den schnellen Sieg der Bestie war jedoch der Umstand gewesen, dass es ohnehin nur vereinzelte und schwache Gegenwehr gab. Die mentalen Suggestionen, die von dem Wucherwesen ausgingen, hatten einen Großteil der Einwohnerschaft in Apathie versetzt.
Den Rest erledigten die überall entstehenden Drüsen. Es hatte keine Phase gedauert, bis alles Leben in Torkur entweder verzehrt oder in Kokons eingesponnen war. Das Wesen hatte das Hydrosseum zu seiner Speisekammer gemacht.
Seither überführte die Bestie etwa alle zwei Phasen einen Gefangenen in ihren Magensack und stillte damit ihren Hunger.
Weil er nichts sehen konnte, blieb es für Ul'ba undurchschaubar, ob das Wucherwesen seine Opfer in einer bestimmten Reihenfolge oder rein zufällig auswählte. So lebte er permanent in der Angst, dass er der Nächste sein konnte.
Jetzt aber war eine Gelegenheit zur Flucht gekommen! Die drückende Dumpfheit wich aus Ul'bas Hirn. Sofort pochte die angespannte Tatkraft eines Lebewesens durch sein Hirn, das sich der Todesgefahr bewusst war.
Er durfte nur nicht an Flux'onda denken!
Ul'ba war kein Hydrit von überdurchschnittlicher Geistesgröße. Er übte eine Tätigkeit in der Tangverwertung aus.
Seine Freizeit verbrachte er damit, in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen nach einer Frau zu suchen, die als seine Verbundene taugte. Er betrachtete sich als normalen, schlichten Zeitgenossen mit ausgeprägtem Familiensinn.
Mittlerweile hatte er einige interessante Kontakte geknüpft. Zu den verbindungswürdigsten Bekanntschaften, die er gegenwärtig pflegte, zählte die junge Hydritin Flux'onda. Sie war Hydrotechnikerin.
Noch wagte er es sich nicht einzugestehen, aber eigentlich hatte er sie schon sehr ins Herz geschlossen; vielleicht sogar so sehr, dass er nicht mehr auf ihre Nähe verzichten mochte.
Und als er sich und ihr endlich seine Zuneigung gestehen wollte, kam diese verwünschte Bestie über Torkur und zerstörte all seine Zukunftspläne! Aber nicht mit mir! , dachte Ul'ba zornig.
Sein Verstand war wieder hellwach.
Nun musste er handeln, ehe das Wucherwesen wieder den hypnotischen Bann der Benommenheit über ihn breitete.
Ob er eine realistische Aussicht auf Erfolg hatte, konnte er nicht beurteilen.
Sein Plan war, zu den Transportröhren zu gelangen und außerhalb Torkurs nach Hilfe zu suchen, damit das grauenvolle Geschöpf gezielt bekämpft werden konnte. Wenn dort draußen nicht auch schon alles in Kokons versponnen war…!
Richtig, der Kokon. Zuerst musste er sich daraus befreien.
Weitere Kostenlose Bücher