0763 - Strigen-Grauen
das auch paßte.
Sie tat es mit rein mechanischen Bewegungen, ohne länger darüber nachzudenken. Die Schmerzen ignorierte sie dabei, sie zuckten immer durch das Gesicht, als hätte sie Nadelstöße bekommen.
Helen schaffte es, und sie reinigte auch ihren Hals. Danach schaute sie sich die Wunde im Spiegel noch einmal genauer an.
Der Schnabel hatte eine Kerbe in das Fleisch hineingehackt. Eine schräge Kerbe, und die Hautlappen der Wunden klafften dabei auseinander. Um sie herum hatte die normale Haut eine bläulich-graue Färbung angenommen, ähnlich wie bei einem Bluterguß.
Obwohl sich die Wunde von keiner ähnlichen unterschied, widerte sie die Frau an. Gerade bei ihr empfand sie sie als besonders schlimm, und plötzlich wollte Helen sie nicht mehr sehen. Sie kam sich so kaputt vor und gedemütigt, und über ihren Rücken rann ein kalter Schauer. Hastig suchte sie nach dem Pflaster. Sie hatte es in eines der oberen Regale hinter der schmalen Schranktür gelegt.
Dort wühlte sie herum, holte kleine Dosen und andere Dinge hervor, und es machte ihr nichts aus, daß dieses Zeug zu Boden fiel.
Endlich hatte sie die Pflaster gefunden. Sie nahm das größte aus der Schachtel, denn sie wollte nichts, aber auch gar nichts mehr von der Wunde sehen.
Dennoch war sie nicht erleichtert, als sie es hinter sich hatte. Zwar fühlte sie sich etwas beruhigter, aber die große Ruhe wollte sie nicht überkommen. Dazu war der Vorgang einfach zu schrecklich gewesen, zu tiefgreifend.
Als sie das Bad verließ und mit schleppenden Schritten in ihr Schlafzimmer zurückkehrte, überkam sie abermals eine gewaltige Angst, obwohl sich hinter dem Fenster nichts bewegte.
Helen fürchtete sich vor etwas anderem. Sie hatte einfach das Gefühl, daß es mit dem Aufkleben des Pflasters nicht getan war. Daß dieser Angriff erst der Beginn weiterer unheimlicher und unerklärlicher Dinge war, die auf sie zukamen.
***
Todesangst!
So grausam, so alles überdeckend, so schleichend wie ein tödliches Gift und so verdammt einprägsam.
Ich saß da und bewegte mich nicht, aber ich konnte nachvollziehen, was mein Gegenüber empfand.
Ein Gegenstand berührte seinen Nacken. Er war lang, kalt und an seinem Ende rund, ein Schalldämpfer. Ihn hatte ein Mann auf die Waffe geschraubt, der wie ein Schatten in der Nische aufgetaucht war und mein Gegenüber bedrohte.
Ich war zu keiner Bewegung gekommen, es war einfach zu schnell gegangen, und ich schaute nun in das Gesicht des Fremden, besonders in die Augen, die so grau und leblos wie Kieselsteine waren, mir dennoch genug sagten. Dieser Mann war gekommen, um zu töten, und es würde nichts geben, was ihn davon abhalten konnte.
Sanders spürte die Angst. Er hatte sie schon zuvor bei unserem Treffen gehabt, doch mit dem Auftauchen des Fremden war sie zur reinen Todesangst geworden.
Er saß steif da. Er zitterte nicht einmal. Seine Hände lagen rechts und links des Glases, doch auf dem Gesicht veränderte sich einiges. Da strömte der Schweiß aus jeder Pore. Er kam mir so dick wie Sirup vor und schien das wahre Gesicht des Mannes zerfließen zu lassen.
Sanders hatte mich getroffen, um mir einige Informationen zu geben, die ein bestimmtes Thema betrafen. Da mischte sich Magie mit Spionage, soviel wußte ich. Er hatte weit ausholen wollen, er hatte über einen osteuropäischen Nachrichtendienst gesprochen, der zusammengebrochen war, aber sein Erbe nicht verleugnen konnte. Er wußte auch über mich Bescheid, ich nicht über ihn.
Er hatte nie konkret auf meine Fragen geantwortet, weil ich hatte wissen wollen, für welche Seite er nun arbeitete. Sein Lächeln war verkrampft und unecht gewesen, und ich war letztendlich zu dem Entschluß gekommen, einen Doppelagenten vor mir sitzen zu haben.
Es hätte sicherlich ein interessantes Gespräch werden können, wäre nicht dieser Fremde aufgetaucht und hätte sich hinter Sanders aufgebaut. Man konnte uns vom Lokal aus kaum sehen, denn wir saßen in einer Nische, die sich Sanders bewußt ausgesucht hatte. Es war ihm wohl peinlich, vor Zeugen mit mir zusammen zu sein. Daß ihm die Feinde schon so dicht auf den Fersen gewesen waren, damit hatte er nicht gerechnet.
Sanders war ein Mann, dessen Alter ich schlecht schätzen konnte. Vielleicht war er vierzig, vielleicht auch ein paar Jahre älter oder jünger. Das konnte man wirklich nicht sagen. Sein Haar war schütter geworden. Es wuchs nur noch auf dem Hinterkopf, war ebenfalls schweißdurchtränkt und klebte dort in
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