Ein Blick genuegt
PROLOG
Es war eine unheimliche Nacht.
Hinter dunklen, schnell davonziehenden Wolken lugte der Vollmond hervor, während ein frischer Herbstwind durch die Bäume und über den gepflegten Rasen pfiff.
Drei Jungen bewegten sich leise durch die Dunkelheit und schlichen an den Grabsteinen entlang, bis sie am entlegensten Ende des Friedhofs von Wolf River standen. Hier an dem neuen Grab gab es keine Bäume, keinen malerischen Bach oder Büsche. Auch keinen Grabstein oder sonst einen Hinweis. Einfach nur ebene, kalte Erde.
Mit grimmigen Gesichtern stellten sich die Jungen um das Grab.
Lucas Blackhawk war der erste, der sprach. Er war dreizehn und damit der älteste von den dreien. „Hast du, was wir brauchen, Santos?”
Nick Santos, der Jüngste, griff unter sein Sweatshirt und zog einen Hammer hervor. „Ich war nicht schnell genug, um auch noch die Nägel zu schnappen. Grunts kam den Flur entlang und hätte mich fast im Werkzeugraum erwischt.”
Grunts, der Nachtwächter im Kinderheim von Wolf River, hatte seinen Spitznamen wegen seines Asthmas bekommen. Für den Wächter war es eine unangenehme Krankheit, doch den Jungen diente es als Frühwarnsystem, wenn er im Anmarsch war.
„Nick Santos nicht schnell genug?”, zog Killian Shawnessy ihn auf. Ian kannte seinen genauen Geburtstag nicht. Doch der Priester, der ihn auf den Stufen der St. Matthew Abtei gefunden hatte, schätzte Ende April. Damit war Ian fünf Monate jünger als Lucas. „Ich dachte, du bist der Schnellste, Nick?”
Darüber mussten sie alle gr insen.
Dem Aussehen nach hätten sie Brüder sein können. Groß, schlank, dunkles Haar. Und ihre dunkelbraunen Augen glühten mit einer Intensität, die selbst in ihrem Alter andere Männer auf der Hut sein ließ und Frauen einen Seufzer entlockte.
Eine Windbö fegte über sie hinweg und brachte die drei wieder zurück zu ihrer Aufgabe.
Sie starrten auf das Grab vor ihnen.
Lucas machte eine Taschenlampe an und reichte sie Ian, zog dann eine Holzlatte aus seinem Rucksack und gab sie Nick. „Du schlägst den Pfahl ein. Ian, leuchte mal in meinen Rucksack, ich hab irgendwo da drin noch Draht.”
Nick hämmerte drauflos, während Lucas den Draht heraus suchte. Anschließend wandten sich beide zu Ian.
Der zögerte, bevor er nach dem hölzernen Schild griff, das er unter dem Arm hielt. Lucas nahm es ihm ab und befestigte es mit dem Draht am Pfahl.
THOMAS BLACKHAWK GELIEBTER VATER UND FREUND
Lucas starrte auf den Namen seines Vaters und kämpfte gegen die Tränen an. Er hatte nicht geweint, als Mr. Hornsby, der Heimleiter, ihm vor einer Woche erzählt hatte, dass sein Vater bei einem Gefängnisaufruhr getötet worden war, und er würde es auch jetzt nicht tun. Thomas Blackhawk würde von seinem einzigen Sohn erwarten, dass er Stärke zeigte.
Und Lucas musste stark sein. Denn irgendwie, irgendwann würde er das Unrecht rächen, das ihm und seinem Vater angetan worden war. Und der Mann, an dem er Rache üben würde, derjenige, der die Blackhawk Circle-B-Ranc h gestohlen hatte, war Mason Hadley, Wolf Rivers reichster und berühmtester Einwohner.
„Oh, das hätte ich fast vergessen.” Nick langte in die Gesäßtasche seiner Jeans. „Ich hab eine Kerze mitgebracht. Hab sie aus dem Notfallkasten im Werkzeugraum gegriffen.”
Streichhölzer folgten, und einen Augenblick später leuchtete eine einfache weiße Kerze auf. Nick stellte sie vor das Schild, und die drei Jungen betrachteten schweigend das Auflodern der Flamme.
Lucas war jetzt allein. Seine Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und ansonsten hatte er keine Familienangehörigen. Dafür hatte er Ian und Nick. Sie waren jetzt seine Familie. Und er war ihre.
Er löste das Taschenmesser von der Metallkette, die an einer seiner Gürtelschlaufen hing, und klappte es auf.
Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er seine Hand und ritzte mit dem Messer über die Handfläche. Einige Tropfen Blut rannen heraus. Ian nahm als nächster das Messer, vollzog die gleiche Handlung und reichte das Messer an Nick weiter.
Schweigend verschränkten die drei Jungen ihre Hände über der Flamme.
Plötzlich zerzauste eine Windbö ihnen die Haare und wirbelte die welken Blätter um ihre Füßen hoch. Über sich hörten sie Flügelschlägen. Nur die Flamme der Kerze bewegte sich nicht.
Mit großen Augen schauten die drei in den nächtlichen Himmel. Aber dort war nichts. Nur der Mond, der jetzt in seiner ganzen Pracht auf sie niederschien.
In diesem Moment wussten sie,
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