0767 - Zeit der Wachsleichen
das Fenster und spürte, daß seine Augen anfingen zu brennen. Er wollte unbedingt wissen, was sich dort tat und in der Dunkelheit versteckte. Es war etwas Fremdes und Böses, das nicht auf den Friedhof und schon gar nicht zur Nähe der Kirche paßte. Vielleicht war es der Tod in einer seiner schrecklichsten Gestalten. Die Hände des Mannes umklammerten das schlichte Holzkreuz, das er stets bei sich trug. Er hatte die Schnur um seinen Hals gehängt, das Kreuz baumelte vor der Brust.
Ein Schatten wanderte hinter der Fensterscheibe entlang. Zuerst von links nach rechts. Dann war er verschwunden, und Prantl glaubte an eine Täuschung.
Aber der Schatten kehrte zurück.
Diesmal wanderte er lautlos von rechts nach links. Eine böse Erscheinung, ein Gruß teuflischer Kräfte.
Prantl glaubte an Gott; aber er glaubte auch an die Verdammnis. Hatte sie ihren Boten geschickt?
Er schlug hastig ein Kreuzzeichen.
Genau in dem Moment erschien der Schatten wieder. Diesmal ging er nicht vorbei.
Er blieb stehen, so daß er die Mitte der Fensterscheibe ausfüllen konnte.
Und der Pfarrer schaute in ein furchtbares Gesicht!
***
Die Zeit schien für mich in diesem Augenblick einfach eingefroren zu sein!
Ich kam mir vor wie in einem Vakuum, das trotzdem von dem brennenden Hauch der Todesangst erfüllt war, denn vor mir sah ich Audrey Houston, die Killerin, und sie starrte mich über den Lauf ihrer Waffe ebenso erschreckt an wie ich sie.
Weiter hinten im Flur lag der Tote. Die Frau hatte ihm in den Rücken geschossen. Mir war nur ein kurzer Blick auf Sid Davies vergönnt gewesen, dennoch hatte ich genug gesehen.
Die starre Haltung des Körpers und auch das Blut, das aus der Wunde geflossen war.
Die schöne Audrey war eine Killerin der Mafia!
Ich konnte es nicht glauben. Dabei hatte ich mit ihr und ihrer Freundin an der Bar gesessen und später auf der Hotelterrasse. Wir hatten uns blendend unterhalten, und ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ein bestimmter Grund die beiden Frauen in dieses Hotel am Eibsee unterhalb der Zugspitze geführt hatte.
Ein Mitglied aus der Familie Davies hatte sie getötet. Die beiden anderen sollten noch sterben. Ich wußte es, ich war ja wegen dieser Familie nach Germany geschickt worden, aber ich konnte trotz allem nicht begreifen.
Dann sah ich ihre Augen.
Der Blick war so kalt und menschenverachtend, daß ich anfing zu frieren. In diesem Moment wurde mir auch klar, daß eine Mörderin wie sie keine Zeugen dulden würde.
Ich war ein Zeuge!
Und ich handelte.
Bevor sie ihre Schrecksekunden überwunden hatte, warf ich mich zurück. Gleichzeitig zerrte ich die Tür zu. Ich wollte weg von ihr. Ich hatte auch nicht geschossen, das brachte ich in diesem Moment nicht fertig, aber die Houston zeigte weniger Skrupel als ich.
Sie feuerte!
Nur waren ihre Schüsse nicht oder nur kaum zu hören, denn ein Schalldämpfer war auf den Lauf der Waffe geschraubt worden. Nach dem hastigen Schließen der Tür hatte ich mich gedreht und mit dem Rücken gegen die Flurwand geworfen.
Zum Glück für mich, denn die Geschosse fetzten ungefähr in Brusthöhe Löcher in die Zimmertür und huschten wie ein tödlicher Hauch an meinem Körper vorbei.
Ich sackte zusammen, schoß noch nicht zurück. Dafür hörte ich einen bösen Fluch und dann die Geräusche leiser Tritte, als die Mörderin den Gang entlanglief.
Ich wußte, wohin sie wollte. Nebenan hatte die Familie Davies ihre Suite bezogen. Hier sollten die drei Menschen vor der Rache der Mafia geschützt werden. Es hatte nicht geklappt.
Der Vater war tot, Mutter und Sohn noch ahnungslos. Auch wenn sie mir nicht eben freundlich gegenüberstanden, ich mußte mich mit ihnen in Verbindung setzen und sie warnen.
Es war kein Risiko, wenn ich in das Zimmer hineinlief, denn Audrey wartete nicht mehr auf mich.
Ich mußte auf die Terrasse, denn die der Suite grenzte direkt an meine.
Noch immer in gebückter Haltung zog ich die Tür auf. Ich kroch auf den großen Balkon, denn ich mußte damit rechnen, daß noch eine zweite Mörderin erschien.
Sally Vincaro, Audrey Houstons Freundin.
Hoffentlich hatten die Davies' die Tür geöffnet. Vor der braunen Holzabgrenzung blieb ich hocken.
Sie war zwar hoch, fiel aber zur Brüstung hin ab, so daß ich hinüberklettern konnte. Das tat ich noch nicht. Ich hoffte, daß niemand im Garten lauerte und mich womöglich aus guter Deckung aufs Korn nahm. Nun überblickte ich die andere Terrasse. Sie war leer.
Aber im Zimmer
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