0767 - Zeit der Wachsleichen
und dann hätte ich auch die Räume durchsucht. Ich wäre der Reihe nach vorgegangen. Den Flur, das Bad, das Schlafzimmer, den Wohnraum und auch noch das kleinere Zimmer, in dem wahrscheinlich der Junge geschlafen hatte.
Noch tat sie nichts.
War schon eine Minute vergangen? Es war schwer, die Zeit zu schätzen. Zu hören war jedenfalls so gut wie nichts, auch ich atmete nur flach. Und an den Fernseher hatte ich mich gewöhnt. Er war sehr leise gedreht worden, als hätte jemand sehen, aber nicht hören wollen.
Auf dem Bildschirm sah ich den einäugigen Inspektor Colombo schief grinsen. Er würde seinen Fall wieder lösen. Bei mir stand das noch nicht fest.
Ein leises Schaben ließ mich aufhorchen.
Audrey hatte sich bewegt und war dabei leicht an der Flurwand entlanggeschabt. Ich riskierte wieder einen Blick. Die Frau war kleiner geworden, demnach hatte sie sich geduckt.
Dann betrat sie den Wohnraum.
Schußbereit hielt sie die schallgedämpfte Waffe. Diesmal vorgestreckt und die Mündung nicht gegen die Decke gerichtet. Sie schwenkte den Revolver auch, zielte um die Ecken. Ihre weiße Jacke sah dabei aus, als hätte sie sich ein Leichentuch um die Schultern gehängt.
Mich hatte sie noch nicht entdeckt. Nach wie vor wartete ich auf eine günstige Gelegenheit, um sie zu überwältigen. Noch tat sich da nichts. Die Frau mußte erst ihre Haltung verändern und mir nach Möglichkeit ihr Profil zeigen, dann konnte ich eingreifen.
Ich hörte sie fluchen.
Leise nur, aber doch intensiv. Sie war enttäuscht und richtete ihren Blick jetzt auf die Terrassentür, die nicht geschlossen war. Durch die Öffnung wehte ein kühlerer Wind in den Raum, der auch über meinen Nacken trieb, als wollte er den dort liegenden Schweiß festbacken.
Sie mußte sich überzeugen, ob sich noch jemand in der Suite befand. Und sie mußte auch auf der Terrasse nachschauen. Die lockte sie nahezu. Zudem hatte Audrey die Waffe in meiner rechten Hand gesehen. Da mußte sie einfach davon ausgehen, daß ich doch nicht so normal war, wie es vielleicht bei unseren lockeren Gesprächen auf der Terrasse und an der Bar den Anschein gehabt hatte.
Wieder ging sie weiter.
Sie mußte dabei ausweichen. Ein Tisch stand ihr im Weg. Letztendlich auch der Sessel, hinter dem ich Deckung gefunden hatte. Sie kam näher und näher. Der Duft ihres Parfüms erreichte meine Nase, und ich verzog die Lippen.
Roch auch sie mich?
Es gibt Menschen, die auf Körpergerüche sehr sensibel reagieren. Ich hoffte nur, daß Audrey nicht zu ihnen gehörte. Sie bewegte sich noch immer vor.
Vier Schritte höchstens trennten uns.
Die Entscheidung lag in der Luft.
Dann blieb sie plötzlich stehen.
»Sinclair, du bist hier?«
Es war nur ein Satz, den sie in die Stille des Zimmers gesprochen hatte, der aber erschreckte mich.
Verdammt, das Weib wußte Bescheid. Aber sie wußte nicht, wo ich steckte.
Sie stand jetzt so nahe am Sessel, daß ich sie nicht mehr sehen konnte. In den nächsten Sekunden würde es auf die Schnelligkeit ankommen. Ich stellte mir vor, daß ich meine Deckung mit einem Hechtsprung verlassen konnte und vom Boden her auf sie feuerte.
Ihre Stimme zerriß meinen Gedankengang. »Wenn ich dich kriege, schieße ich dir das Gehirn aus dem Schädel!«
Wie schön, dachte ich.
Sie ging noch einen Schritt vor. Dann wieder einen. Plötzlich hatte sie den Sessel erreicht. Ich merkte es daran, daß sie mit dem Bein gegen den Rand der Sitzfläche stieß. Diese leichte Bewegung war für mich wie ein Zittern zu spüren.
Ich handelte sofort.
Mit beiden Händen wuchtete ich das Sitzmöbel vor. Der Sessel kippte, rammte die Frau, die fluchte.
Sie schoß auch, die Kugel jedoch jagte in die Deckung, was mir wiederum bewies, wie sehr sie aus dem Rhythmus gekommen war.
Für mich gab es kein Halten mehr!
Ich schnellte in die Höhe. Audrey Houston hatte noch immer mit dem Sessel zu kämpfen, der sie mit seiner Wucht beinahe zu Boden gezwungen hatte.
Da ihre Gestalt in den Schein einer Wandleuchte geraten war, konnte ich sie gut erkennen.
Die Waffe war nicht auf mich gerichtet. Im Moment zeigte die lange Mündung zu Boden, und Audrey selbst hatte eine Schräglage eingenommen, was ich ausnutzte.
»Revolver weg!«
Sie erstarrte in ihrer Haltung.
»Na los!« Sie drehte den Kopf in meine Richtung und präsentierte mir ihr schweißnasses und verzerrtes Gesicht. Noch immer zeigten ihre Augen nicht den Funken von Gefühl.
»Du hast verloren, Mörderin!«
Sie lachte
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