0771 - Der Knochen-Sessel
beginnt, schaue ich mich um, und du wirst mir dabei helfen.«
»Wieso ich?«
»Ganz einfach. All die Dinge, die versteigert werden, sind zuvor in einem bestimmten Raum aufgebaut worden. Von ihm aus werden sie in die Versteigerungshalle geschafft. Das wird hier nicht anders sein als in London oder Paris.«
Douglas winkte ab. »Du brauchst nicht weiterzureden. Ich weiß, worauf du hinauswillst.« Ich grinste.
»Ist aber nicht.«
»Warum nicht?«
»Hier werden sie bewacht.«
»Und was ist mit deiner Position?«, konterte ich. »Du bist FBI-Mann und wirst dich doch nicht von den Sicherheitskräften eines privaten Wachdienstes in die Flucht schlagen lassen.«
»Ich habe es noch nicht probiert.« Er trank das Glas leer, stellte es wieder hin, ließ es aber nicht los, sondern drehte es zwischen seinen Fingern, wobei er den Kopf gesenkt hielt und anscheinend schweren Gedanken nachhing.
Das wunderte mich. »He, Alter, was hast du? Bist du trübsinnig geworden?«
»Das nicht gerade.«
»Aber…?«
Er schnaufte. »Ich habe wieder einmal das Gefühl, dass wir uns verdammt tief reingehängt haben. Wie bei dem verdammten Friedhofsfall. Scheiße, John, wer interessiert sich schon für einen Knochensessel? Ich habe ja viel erlebt, aber einer, der so etwas ersteigert, kann nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.«
»Du gestattest, dass ich anderer Meinung bin.«
»Sicher. Nenn mir den Grund!«
»Wer so einen Gegenstand ersteigert, Abe, der weiß sehr genau, warum er das tut. Der wird seinen Grund haben, und der wird möglicherweise auch die Vergangenheit des Knochen-Sessels kennen. Es wird einer sein, der Ahnung und sicherlich auch Macht hat. Das ist es, was mir Sorgen bereitet. An den Sessel denke ich dabei nur in zweiter Linie, auch wenn ich damit rechnen muss, dass von ihm Gefahr ausgeht.«
Douglas nickte. »Kann sein, dass ich das alles falsch sehe. Es gibt ja auch hirnrissige Typen, die sich einen ausrangierten elektrischen Stuhl in den Keller stellen. Ist alles schon da gewesen. Man darf sich eigentlich nicht wundem. Aber wie dem auch sei, ich bringe dich jetzt in dein Hotel, wo du dich noch hinlegen kannst und…«
»Kommt gar nicht in Frage. Hotel ja, hinlegen nein. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mir den Knochen-Sessel zuvor anschauen möchte.« Mit der Zeigefingerspitze tippte ich Abe gegen die Brust. »Du wirst mir dabei helfen. Dafür übernehme ich auch hier die Rechnung.«
Douglas verdrehte die Augen und wühlte sein blondes Haar in die Höhe. »Können wir das nicht umgekehrt machen?«
»Nein.« Ich hatte bereits zwei Dollarscheine auf den Tresen gelegt.
Die dunkle Hand des Waiters nahm sie an sich.
»Aber du musst mir einen Gefallen tun, John.«
»Welchen?«
»Wenn du den Stuhl siehst, setz dich bitte nicht darauf. Ich möchte nicht, dass hinterher jeder Knochen einzeln versteigert wird und der Besitzer ihn zusammensetzen muss wie ein Puzzle.«
»Versprochen«, erwiderte ich lachend und rutschte vom Hocker.
***
Es gibt ein Musical, das auf allen Bühnen der Welt immer wieder mit großem Erfolg gespielt wird. Bernsteins Meisterwerk »West Side Story«. Es beschreibt den Bandenkrieg in einem bestimmten Stadtviertel in der West Side von Manhattan und hat dieser Umgebung einen verdammten Stempel aufgedrückt.
Das ist vorbei. Zwar existiert die West Side noch, aber nicht mehr in der Art, wie sie auf der Bühne vorkam und im täglichen Überlebenskampf noch schlimmer gewesen ist.
Heute gehört diese Gegend an der Columbus Avenue zwischen der 79. und 80. Straße zu den bevorzugten Wohnplätzen der Yuppies, die natürlich die horrenden Preise für die Wohnungen zahlen können. Denn da kostet schon ein Apartment mit zwei Schlaf zimmern ungefähr dreihunderttausend Dollar. Was sich sonst noch in dieser Gegend angesiedelt hat, sind elegante Bistros, mondäne Läden, Cafés, Lokale mit Glasvorbauten, in denen man so wunderschön gesehen werden kann.
Aber auch einen Flohmarkt gab es, wo die irresten Dinge verkauft wurden. Viele von ihnen hatten einen Andy-Warhol-Touch wie der Zylinder mit den farbigen Fotos der Monroe auf den Seiten. Das sah ich im Vorbeigehen, denn wir hatten – dem Zufall sei Dank – sogar einen Parkplatz gefunden.
Abe Douglas führte mich am Rand des Flohmarkts vorbei. Er hatte mir auch die Geschichte von der West Side erzählt und fragte nun:
»Erkennst du es wieder?«
»Nein.«
»Da staunen die Fremden, und die Einheimischen wundern sich. Man führt gern Touristen
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