0771 - Der Knochen-Sessel
Darauf hoffte Bloch.
Vom langen Sitzen waren seine alten Knochen steif geworden. Er legte seine Hände auf den Tisch und stemmte sich langsam hoch.
Die Brille verdeckte seine Augen, er schaute trotzdem zu dem offen stehenden Fenster.
Mit sehr kleinen Schritten ging er darauf zu. Auf dem Sisalteppich war er kaum zu hören, und er blieb vor dem offenen Fenster stehen, um tief durchzuatmen.
Die kühle Nachtluft tat ihm gut. Sie war sehr sauber und sorgte für eine Reinigung im Innern. Er sah das Dorf nicht, doch er wusste genau, dass es vor und unter ihm lag, denn er hörte die zahlreichen Geräusche, die eigentlich nur einem sensiblen Menschen wie ihm zu Ohren kamen.
Es war nie still im Ort. Immer wieder tat sich dort etwas. Selbst sehr leise Geräusche drangen an seine Ohren.
Obwohl er auf seiner Uhr nicht ablesen konnte, wie weit die Zeit schon fortgeschritten war, rechnete er damit, dass es noch ungefähr zwei Stunden bis zur Tageswende waren.
Nicht zu spät, um eine kleine Versammlung einzuberufen. Der Abbé gehörte zu den Menschen, die zwar eine Gruppe führten oder leiteten, er selbst sah sich jedoch nicht als großen Boss an. Wenn etwas entschieden werden musste, taten sie es gemeinsam, er konnte höchstens als Ratgeber fungieren. Zudem war er sowieso durch seine Blindheit gehandikapt.
Bloch verließ sein Arbeitszimmer und trat hinaus in den Flur. Er roch noch nach Essen. Er hörte, wie nicht weit entfernt etwas mit gleichmäßigen Bewegungen über den Boden fuhr, und er wusste, dass einer seine Leute dabei war, den Boden zu fegen.
Sie alle erledigten ihre Aufgaben, ohne zu murren, und waren trotzdem sehr wachsam, denn mit einem Überfall musste stets gerechnet werden. Die Feinde waren einfach zu vielfältig.
Im Flur hing eine große Glocke. Wenn sie angeschlagen wurde, dann wussten die Templer, dass sie zu einer außergewöhnlichen Versammlung gerufen wurden.
Der blinde Abbé fand mit zielsicheren Schritten den Standort der Glocke und schlug den Klöppel gegen die Seitenwand. Die Alarmsignale hallten durch das ganze Haus.
Fünfmal hatte er den Klöppel bewegt, dann war er sicher, von jedem gehört worden zu sein.
Der Abbé war der Erste, der im Versammlungsraum saß, wo auch die Mahlzeiten eingenommen wurden. Der Reihe nach trafen seine Freunde an. Wer es war, erkannte er schon am Klang der Schritte.
Stuhlbeine schleiften über den Boden, als sich die Männer die Sitzgelegenheiten zurechtrückten und ihre Plätze einnahmen.
Bloch wusste, dass sich zahlreiche Gesichter auf ihn richteten. Er konnte die Spannung in den Augen fühlen, denn es war nicht an der Tagesordnung, dass er um diese Zeit Versammlungen einberief.
Wenn das geschah, lag immer ein schwerwiegender Grund vor.
Er wartete, bis alle Platz genommen hatten. Der Abbé wusste, dass man ihm ein Glas Rotwein hingestellt hatte. Das gehörte zum Ritual.
Er bekam das Glas zu fassen und trank. Er nahm auch noch einen zweiten Schluck, bevor er das Gefäß wieder absetzte und seine Brille zurechtrückte.
»Es ist ungewöhnlich, dass ich euch, meine Freunde, um diese Zeit zu einer Versammlung gebeten habe, aber es gibt dafür Gründe. Auch wenn äußerlich noch nichts zu sehen ist, können wir davon ausgehen, dass wir Probleme bekommen werden, denn unsere Feinde, die Baphomet-Templer, schlafen nicht.«
Er trank wieder und kam anschließend zur Sache. Er sprach mit ruhigen Worten, aber seine Stimme zeigte keine Monotonie. Er hob sie an, wenn es wichtig war, und er redete nahezu beschwörend, als er von der Rückkehr des Knochen-Sessels redete.
Es dauerte nicht mehr lange, dann hatte er seinen kleinen Vortrag beendet und kam zu den Gegenmaßnahmen. Zuvor aber erreichte ihn eine Frage. »Sollen wir nicht gemeinsam versuchen, den Sessel zu finden?«
»Daran habe ich auch gedacht, aber ich kann euch nicht in die Welt schicken und die Plätze absuchen lassen, wo einmal Templer gewesen sind. Nein, hier müssen wir zu anderen Maßnahmen greifen, und die habe ich mir schon einfallen lassen. Ich möchte nur eure Zustimmung, denn ich habe an John Sinclair gedacht.«
Schweigen. Ziemlich lange, bis jemand laut atmete. »Gut, das sehen wir wohl alle ein.«
»Zumal«, fuhr der Abbé fort, »John Sinclair allein durch seine Arbeit mehr Möglichkeiten hat, um nachzuforschen. Wenn ein derartiges Sitzmöbel gefunden worden ist, kann das eigentlich nicht so geheim bleiben. Man wird Sinclair, wenn er fragt, Tür und Tor öffnen. Damit kann er uns dann
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