0781 - Die Hexe von Hilversum
sie waren Brüder, sie mussten zusammenhalten.
»Wann kommt sie, Brüderchen?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Aber du wirst sie holen – oder?«
»Ich versuche es.«
Piet grinste breit. »Herrlich, Jan, ich wusste ja, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ich liebe dich.«
»Lieber nicht«, murmelte Jan de Rijber und wandte sich ab…
***
Es hatte geklappt, es war sogar super gewesen. Da konnte Piet de Rijber nur in wilden, orgiastischen Erinnerungen schwelgen. Er hatte die Frau bekommen, von der Millionen träumten, und für ihn war es ein stundenlanges Fest gewesen.
So etwas war einmalig, das gab es nicht noch mal, das konnte man nicht wiederholen. Dieses Weib war – ihm fiel kein Vergleich ein, und er dachte letztlich daran, dass die Leute Recht hatten, die sie eine Hexe nannten.
Sie hatte ihn verhext, und sie schien ihre Kräfte vom Teufel bekommen zu haben.
Sie hatte sich nicht einmal gewehrt, auch bei den Fesseln nicht, aber da war etwas gewesen, das Piet doch hatte stutzig werden lassen. Zwei Dinge nur.
Einmal hatte sie beim Weggehen gesagt, dass er es bereuen würde.
Er würde noch von ihr hören. Und zum Zweiten hatte sie erklärt – da stand sie bereits in der offenen Tür, und der Wind spielte mit ihren blonden Haaren –, sie würde ihm einen Gruß zuschicken.
Piet hatte dem keine Beachtung geschenkt. Erst einige Tage später, als ihre Sendung über unerklärliche und unheimliche Phänomene lief, hatte er sich wieder daran erinnert. Kurz vor Schluss, der letzte Filmbeitrag über Flaschen, die eine Schräge hinaufrollten, war abgespult, hatte sie noch einmal starr in die Kamera geschaut und ihn gegrüßt. Nur einen Satz hatte sie gesagt, und der war ihm unter die Haut gegangen.
»Bald werde ich dich besuchen!«
Sie hatte keinen Namen genannt, aber Piet hatte gewusst, dass nur er damit gemeint sein konnte. Ein Schauer war ihm bei den Worten über den Rücken gelau fen. Er hatte in ihre Augen geschaut, die so kalt und teuflisch waren, als verberge sich hinter ihnen ein anderes Wesen.
Danach war die Sendung beendet.
Piet de Eijber hatte in der folgenden Nacht schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt. Immer wieder war ihm das Gesicht der Hexe im Traum erschienen, doch nicht so ebenmäßig und schön wie sonst, sondern hasserfüllt, entstellt durch Geschwüre und mit tanzenden Schlangen statt ihrer blonden Haarflut auf dem Kopf.
Es waren schlimme Träume gewesen, die auch in der nächsten Nacht nicht an Intensität verloren.
Dann aber verblassten sie. In der Woche geschah nichts, und es wurde wieder Montag. Linda Vermool hatte ihre Sendung. Sie war selbstsicher und schön wie immer. Sie führte lockere Gespräche, zeigte die Filmbeiträge und schaute hin und wieder aus ihren großen Augen in die Kamera. Kein Wort zu ihm, nur kurz vor Schluss der Sendung hatte sie genickt und kalt gelächelt.
Piet glaubte, dass ihm dieses Zeichen gegolten hatte. Wieder fürchtete er sich, denn im Grunde seines Herzens war er ein Feigling, der nur im Schutz seines Bruders existierte. Der allerdings war nicht da. Er befand sich auf einer Dienstreise in Asien, und Brüderchen Piet musste die folgenden Nächte schutzlos verbringen.
Es gab zwei, drei Leibwächter, die auf die beiden Häuser inmitten der kleinen Garten- und Parklandschaft am Rande der Stadt achteten, doch sie konnten nicht überall sein, und Piet wollte sie auch mit seinen Problemen nicht belästigen.
Das Gelände war gut gesichert. Die beste Elektronik machte es Einbrechern schwer, überhaupt in die Nähe der Häuser zu gelangen. Das alles konnte ihn nicht beruhigen, als er den Fernseher ausgeschaltet hatte und nervös im großen Zimmer auf und ab schritt.
Viel Glas war beim Bau der Häuser verwendet worden. Auch in seinem Haus fühlte sich Piet manchmal wie im Freien, was er im Sommer genoss, an diesem späten Abend jedoch weniger. Er begann, sich vor den Schatten zu fürchten, die trotz der hellen Außenleuchten noch immer vorhanden waren. Die Büsche und Sträucher auf dem Gelände erschienen ihm wie zusammengekauerte, unheimliche Tiere aus einer dämonischen Welt, und als Piet an die große Scheibe herantrat, da hatte er das Gefühl, als würden sich die Schatten bewegen und lautlos auf das Haus zuhuschen.
Er ging wieder zurück. Sein blauer Seidenmantel glänzte. Er fiel bis auf seine Knöchel, und unter dem Stoff hob sich der Bauch des Zweiunddreißigjährigen wie eine Kugel ab.
Er hätte jetzt gern etwas gegessen, aber
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