079 - Die Insel der wandelnden Toten
zufrieden. „Dann überzeugen Sie sich, ob ich die Wahrheit gesagt habe. Ich lasse Ihnen bis morgen mittag Zeit, sich mein Angebot zu überlegen. Wenn Sie mich vorher erreichen wollen, so finden Sie mich in der Villa Giovanna. Das ist eine einfache, aber nette Pension in Mazara del Vallo.“
Als Dorian sich erhob, sprang auch Gianni von seinem Platz auf und stellte sich ihm in den Weg.
„Die Villa Giovanna ist uns natürlich bekannt, aber es wäre einfacher, wenn Sie für heute unser Gast sind, Mr. Hunter“, sagte er grinsend.
„Das wird sich leider nicht machen lassen“, entgegnete Dorian im gleichen Tonfall. „Ich brauche in den nächsten vierundzwanzig Stunden Handlungsfreiheit. Sie verstehen, Gianna?“
Der Mafiosisproß rührte sich nicht von der Stelle. Dorian überlegte sich, wie er ihn, ohne Don Chiusa zu verärgern, beiseite schaffen konnte.
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und ein großer, bullig wirkender Sizilianer betrat den Raum. Sein braungebranntes Gesicht sah mindestens so ölig aus wie sein kunstvoll gewelltes, pomadisiertes Haar. Er hatte ein brutales Gesicht mit einem etwas nach links verdrehten Unterkiefer, den er sich offensichtlich mal gebrochen hatte. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Bestürzung.
„Was gibt es, Marcello?“ fragte Don Chiusa leicht unwillig.
„Entschuldigen Sie die Störung, Don“, sagte der Neuankömmling. „Aber es hat sich ein tragischer Unfall ereignet. Die Jacht aus Tunis …“
Die weiteren Worte verstand Dorian nicht mehr, denn Marcello beugte sich zu Chiusa hinunter und flüsterte ihm den Rest ins Ohr.
Don Chiusa wurde blaß. Wortlos erhob er sich. An der Tür drehte er sich noch einmal um und sagte: „Kommt mit! Auch Sie, Mr. Hunter!“
Sie folgten dem Don. Gianni ließ Dorian den Vortritt und verließ als letzter den Raum. Sie gingen durch einen Korridor, der in eine Garage führte. Dort war nur ein einziges Auto geparkt. Es handelte sich um einen geschlossenen Lieferwagen. Drei Sizilianer standen daneben, die bei Don Chiusas Anblick fast einen Kniefall machten. Der eine war sicher über fünfzig, die beiden anderen nicht viel älter als zwanzig. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Vater mit seinen Söhnen.
„Wer bist du?“ wandte sich der Don an den Älteren.
„Ich heiße Alfredo Cammero, und das sind meine beiden Söhne Umberto und Franko“, sagte der Alte dienernd. „Ich bin Fischer und fuhr zusammen mit meinen beiden Söhnen lange vor Sonnenaufgang aufs Meer hinaus. Dort stießen wir auf die führungslos dahintreibende Motorjacht.“
„Weiter!“ verlangte Chiusa.
Der Fischer schluckte. „Wir – das heißt mein Sohn Umberto, hat sofort erkannt, daß es eine Ihrer Jachten ist, Don Chiusa. Weil sich auf unsere Rufe niemand meldete, haben wir angelegt. Bevor wir jedoch an Bord gehen konnten, tauchte Marco auf und warnte uns. Er bot einen furchtbaren Anblick, Don Chiusa.“
Chiusa gab den Söhnen des Fischers einen Wink, die Hecktür des Lieferwagens zu öffnen.
Dorian blickte in den Laderaum. Er sah vier weiße Körper, die übereinandergeschichtet waren. Zuerst dachte er, daß es sich um Steinstatuen handle, doch als er Einzelheiten erkennen konnte, ahnte er die grauenhaften Zusammenhänge.
„Das sind die vier, wie wir sie auf dem Boot gefunden haben“, sagte der Fischer. „Zuerst wurden sie ganz schwarz, und als sie der erste Sonnenstrahl traf, erstarrten sie, und ihre Körper wurden weiß.“
Die beiden Söhne des Fischers holten die vier Erstarrten aus dem Lieferwagen und legten sie auf den Boden. Ihre Körper waren wie von der Lepra zerfressen.
„Wie ist das passiert?“ fragte Don Chiusa.
Seine Stimme und sein Gesicht waren ausdruckslos. Er hatte sich gut in der Gewalt.
Der alte Fischer erzählte, was ihm Marco noch anvertraut hatte, bevor er erstarrt war.
„Schon wieder Chalkiris“, murmelte Don Chiusa. Er wich Dorians Blick aus und wandte sich an den Mann mit dem verrenkten Unterkiefer: „Übernimm du die Angelegenheit, Marcello! Wir brauchen einen Totenschein für alle vier, damit wir ihnen ein ordentliches Begräbnis geben können. Und dann verständige die Angehörigen! Ihnen steht ein Schmerzensgeld zu. Aber veranlasse, daß sie kein zu großes Geschrei machen, Marcello! Ich möchte verhindern, daß es sich herumspricht, wie diese armen Teufel zugerichtet wurden. Am besten, man versiegelt ihre Särge. Sie sind tot, und mehr sollen auch ihre Angehörigen nicht erfahren.“
Marcello
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