079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
Seidentapeten an den Wänden.
Niemand begegnete ihnen. Niemand hielt sie auf. Aber es gab
Beobachter im Schloß. Sheherezade, die Seherin, fühlte die Nähe der versteckten
Anwesenden.
Germaine, der weibliche Nachtmahr, hatte de Ayudelle und Patloff
gewarnt.
Das Triumvirat erreichte die Tür zu dem riesigen Salon, der ganz
in Blau eingerichtet war.
Auch hier Dunkelheit.
„Hier waren bis vor wenigen Minuten noch Menschen", wisperte
die Inderin und blickte sich um. Sie machte einen ernsten und gefaßten
Eindruck, und Larry spürte instinktiv, daß sie weit mehr wußte, als sie zu ihm
sagte.
Der Strahl der Taschenlampe wanderte vor ihnen her, riß Sessel,
Tische und Teile des farbigen Teppichs aus der Anonymität der Dunkelheit.
Dann standen sie vor einer riesigen Bücherwand, die die ganze
Seite des Salons einnahm.
Sheherezade sah sich suchend um, als fühle sie etwas.
„Es ist in der Nähe — ganz in der Nähe", sagte das
eigenwillige Medium, und in seine Augen trat ein fiebriger Glanz. Wie vor einer
unüberwindlichen Mauer lief die Inderin vor der riesigen, bis zur Decke
reichenden und mindestens zehn Meter langen Wand hin und her. „Meine Kräfte —
lassen nach", murmelte sie mit schwacher Stimme. „Meine medialen Kräfte
... Aber ich darf nicht aufgeben, nicht jetzt ... Es ist zu wichtig — zu
wichtig für das Leben vieler Menschen."
Die Seherin stand neben einem mächtigen Polstersessel, in dessen
Lehne ein Ascher eingesetzt war.
Die Hände der Inderin zitterten leicht, als sie jetzt danach griff
und den Ascher leicht drehte.
Lautlos glitt die lange Bücherwand in der Mitte auseinander.
Ein grauer Lichtstrahl fiel quer vor Larry Brents Füße. Der Blick
von X-RAY-3 erfaßte die Glaswand, dahinter den Salon mit der makabren,
erstarrten Gesellschaft, und er glaubte, in einem Wachsfigurenkabinett zu sein.
Die Bücherwand war zu zwei Drittel zurückgewichen, als Larry die
schwarze Marmorsäule mit dem samtgebetteten Totenschädel darauf wahrnahm.
Der Agent wollte schon die Inderin darauf aufmerksam machen, als
ihn etwas davon abhielt.
Zwei Schritte hinter der Säule bewegte sich eine Gestalt.
Eine Frau!
Morna Ulbrandson!
Sie stand im Zwielicht, legte den Zeigefinger der rechten Hand an
ihre Lippen und gab ihm mi dieser Geste zu verstehen, sich unter allen
Umständen mucksmäuschenstill zu verhalten. Mit der anderen Hand winkte sie ihm
zu.
X-RAY-3 trat einen Schritt nach vorn.
Zwei Sekunden lang war er überzeugt davon, daß die Schwedin einen
gewichtigen Grund hatte, sich so zu verhalten.
Doch dann folgte die Erkenntnis.
Eine Falle!
Diese Morna war nicht die, die er kannte! Es war der Nachtmahr in
der Gestalt der PSA-Agentin!
●
Larry Brent erkannte es daran, daß Morna Ulbrandson plötzlich zwei
Schritte näher vor ihm stand, ohne daß sie den Boden berührt hatte, ohne daß
ihm aufgefallen wäre, wie sie nähergekommen war.
Sie war geschwebt.
Aber ein Mensch konnte nicht schweben.
Nur ein Phantom, ein Geist konnte das!
Mornas Rechte schoß blitzschnell vor. Die Schwedin war eine
ausgezeichnete Taek-won-do- Kämpferin, daß sie aber unfair kämpfte, das erfuhr
X-RAY-3 zum erstenmal seit seiner Zusammenarbeit mit ihr.
Noch während sie ihn nach vorn zu reißen versuchte, tauchte sie
unter ihm hinweg.
Blitzschnell löste sie sich an der Stelle auf, wo Larry sie eben
noch wahrgenommen hatte.
Die Beine wurden ihm unter dem Körper weggerissen. Er fiel nach
vorn, suchte instinktiv nach einem Halt, fand aber keinen. Die Marmorsäule war
zu weit weg.
Drei Sekunden lang hatte er gezögert, die Smith & Wesson Laser
einzusetzen, aus Furcht, es könnte sich doch um die echte Morna handeln.
Als er jetzt herumschnellte und die Waffe in Anschlag brachte, war
es zu spät.
Sein Gegner hatte sich unsichtbar gemacht.
X-RAY-3 fühlte sich von einem ungeheueren, unsichtbaren Arm
gepackt und in die Höhe gerissen. Dann krachte etwas gegen seine Brust.
Er taumelte zurück, stolperte in die schmale Nische, und wie von
Geisterhand bewegt, öffnete sich die Wand hinter ihm.
Eine zweite Zwischenwand glitt zurück.
Eisige Kälte schlug ihm entgegen.
Larry landete in dem verglasten Tiefkühlgefängnis. Er stürzte der
tiefgefrorenen zweiten Exgattin de Ayudelles vor die Eisbeine.
Es knackte häßlich, als ein Bein abbrach und ihm wie eine Keule
gegen die Stirn schlug.
Larrys Kopf fiel zurück, vor seinen Augen begann alles zu kreisen,
die beiden Trennwände schoben sich lautlos
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