0795 - Entführt in die Totenstadt
hundertprozentig geteilt hätte. Er atmete tief ein. »Und was geschieht mit Vasu? Wie können wir ihn befreien?«
»Vasu ist von mir und den anderen Göttern längst an einen sicheren Ort gebracht worden. Euer Eingreifen lenkte den Verräter Yama ab und verschaffte uns die Möglichkeit dazu. Vasu ist zu klein, um sich seiner Haut zu wehren, deshalb ist er in eurer Welt nicht ausreichend geschützt. Er wäre ständig irgendwelchen Angriffen ausgesetzt.«
»Kennen wir das irgendwoher, Chef?«, flüsterte Nicole Zamorra zu.
»Ich entbinde dich von deinen Verpflichtungen gegenüber dem Kind, Zamorra«, fuhr Shiva fort. »Wir werden ihm zur rechten Zeit einen anderen Künder suchen. Dein Leben ist selbst viel zu gefährlich, du kannst dem Kind nicht den Schutz geben, den es braucht.«
Zamorra nickte, und er stellte fest, wie ihm nach dieser Loslösung sofort leichter ums Herz wurde. Eine der vielen Lasten, die er zu tragen hatte, war von ihm genommen worden. Shiva wollte sich schon verabschieden, als Zamorra ihn noch einmal aufhielt. »Was wird mit Yama?«
»Seine finsteren Pläne sind gescheitert. Um Brahma vom Thron zu stoßen, hätte er Vasu als Opfer benötigt, und er wird ihn nie wieder in seine Gewalt bekommen.«
Epilog: Falsche und echte Freunde
Sie waren im Château Montagne versammelt, um eine private Gedenkfeier für Asha Devi abzuhalten. Die schwierigste Mitstreiterin, die sie je hatten. Die sie nach Shivas Worten stets völlig missverstanden hatten.
Zamorra erhob sich, ein kleines Blatt in Händen, auf dem er einige Notizen angefertigt hatte, die ihm durch die nächsten Minuten helfen sollten. Er hatte lange Zeit damit verbracht, Zitate zu finden, die der Situation angemessen waren. Doch der Widerstreit seiner Gefühle verhinderte, dass Zamorra die richtigen Einleitungssätze fand. Er starrte die Worte auf dem kleinen Zettel an.
Bist du erfolgreich, gewinnst du falsche Freunde und echte Feinde. Sei dennoch erfolgreich. Verdammt, waren sie alle, war er selbst nichts weiter als ein falscher Freund gewesen? Hatten sie Asha denn nicht nur unter Zähneknirschen akzeptiert, oder sollte die Frage nicht vielmehr lauten, ob sie sie überhaupt akzeptiert hatten? Sie war nicht gerade beliebt gewesen…
Da das Schweigen schon zu lange währte, beschloss er, die Worte als Beginn seiner Ansprache zu lesen. Als er den Mund öffnen wollte, sah er eine Träne in Nicoles Augenwinkel. Er wusste, dass sie ihn verstand. Sie war ebenso wie er selbst hin und her gerissen.
Er hatte eine Aufgabe übernommen, die ihn überforderte. Er eignete sich einfach nicht als Trauerredner, und schon gar nicht, solange er seine eigenen Gefühle nicht unter Kontrolle bringen konnte.
Dennoch musste er beginnen und zitierte die Worte. Jede Silbe des Leitfadens aus dem Kinderheim Shishu Bhavan in Kalkutta kam Zamorra mit unendlicher Mühe über die Lippen. Diese Lebensweisheit war ihm passend erschienen, zumal sie aus Indien stammte.
Er sah, dass die Träne mittlerweile über Nicoles Wange gerollt war. Eine kleine feuchte Spur war zurückgeblieben. Auch andere ihrer Freunde waren versammelt.
Freunde? Zamorra überdachte die Bedeutung dieses Wortes neu. Sogar Sid Amos, der Ex-Teufel, war überraschend aufgetaucht als Gast für die kleine Trauerfeier…
Amos, den er selbst mittlerweile zu akzeptieren gelernt hatte, während Nicole dies wesentlich schwerer fiel. Ganz zu schweigen von Robert Tendyke, einem seiner zahlreichen Söhne, der von ihm stets nur abfällig als von seinem Erzeuger sprach.
Ein weiterer Leitfaden aus demselben indischen Kinderheim stand auf Zamorras Zettel, und er spiegelte ihre eigene Situation vor wenigen Tagen wider. »Deine Hilfe wird wirklich gebraucht, aber die Leute greifen dich vielleicht an, wenn du ihnen hilfst. Hilf ihnen dennoch.« Asha hatte ihre Hilfe nicht gewollt, und letztlich waren sie es auch nicht gewesen, die Vasu Hilfe gebracht hatten. Und für Asha selbst war jede Hilfe zu spät gekommen.
Doch Zamorra sparte sich die Worte, denn er wollte keine Rechtfertigung, wollte ihr eigenes Handeln nicht in ein positives Licht rücken. Denn offenbar hatten sie vieles nicht durchschaut.
Er wollte stattdessen über das nachdenken, was er am Ende von Shiva erfahren hatte, und was alles in ein ganz anderes Licht gerückt hatte. »Shivas Worte stimmen mich nachdenklich«, fuhr Zamorra fort und schwieg einen Moment.
Sid Amos nutzte die Gelegenheit, selbst etwas beizutragen. »Die Worte eines indischen Gottes
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