08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
Nähe am Steuerruder stand, so bemüht nach See hinausblickte, als sei er verlegen. Er mußte ihren Wortwechsel mitgehört haben.
Fidelma fiel plötzlich auf, daß die junge, naive Schwester Gormán unbemerkt an Deck gekommen war, in der Nähe stand und sie mit unverhohlener Neugier beobachtete. Sie zupfte an einem Schal, den sie sich zum Schutz vor dem kühlen Wind um die Schultern gelegt hatte. Als ihr Blick dem Fidelmas begegnete, fing sie an zu kichern und zu singen.
»Mein Freund ist weiß und rot,
Auserkoren unter vielen Tausenden.
Sein Haupt ist das feinste Gold.
Seine Locken sind kraus, schwarz wie ein Rabe.
Seine Augen sind wie Augen der Tauben an den
Wasserbächen,
Mit Milch gewaschen und stehen in Fülle.«
Cian stieß einen unterdrückten Ausruf des Unwillens aus, wandte sich von Fidelma ab, rempelte das Mädchen leicht an und verschwand den Niedergang hinab. Schwester Gormán lachte schrill auf.
Gormán ist ein seltsames kleines Ding, dachte Fidelma. Sie scheint in der Lage, mühelos ganze Passagen aus der Heiligen Schrift zu zitieren. Woher stammte dieser Text jetzt gerade, aus dem Hohelied Salomos? Schwester Gormán blickte auf, und als ihre Augen erneut Fidelmas trafen, lächelte sie wieder – ein merkwürdiges, humorloses Lächeln, nur eine Bewegung ihrer Gesichtsmuskeln. Dann wandte sie sich ab und ging weg.
»Schwester Gormán!« Fidelma hatte sich vorgenommen, einige Zeit mit dem Mädchen zu verbringen, denn sie war sichtlich überreizt, und niemand schien sich um sie zu kümmern. Das Mädchen schaute ihr mißtrauisch entgegen. »Ich hoffe, du machst dir nicht immer noch Vorwürfe wegen dessen, was mit Schwester Muirgel passiert ist?«
Die Miene des Mädchens wurde noch ängstlicher.
»Was meinst du damit?«
»Nun, als wir glaubten, sie sei über Bord gefallen, hast du mir doch gesagt, daß du dich schuldig fühltest, weil du sie verflucht hattest.«
»Ach das!« Gormán machte eine wegwerfende Geste. »Da war ich einfach albern. Natürlich hat nicht mein Fluch sie umgebracht. Das ist nun durch ihren Tod erwiesen. Wenn mein Fluch sie wirklich getötet hätte, dann hätte sie nicht noch zwei Tage gelebt.«
Fidelma hob leicht die Brauen bei der offenkundigen Gefühllosigkeit im Ton des Mädchens. Gormán machte sichtlich eigenartige Stimmungswechsel durch.
»Wie du weißt«, sprach Fidelma eilig weiter, »fragte ich jeden, wo er sich unmittelbar vor dem Frühstück befand Ich glaube, du hast gesagt, du warst in deiner Kajüte?«
»Ja.« Die Antwort war kurz.
»Zusammen mit Schwester Ainder, mit der du die Kajüte teilst?«
»Sie war eine Weile hinausgegangen.«
»Ach ja, das hat sie auch gesagt.«
»Muirgel ist tot. Du verschwendest nur deine Zeit mit solchen Fragen«, fauchte Gormán.
Fidelma stutzte bei ihrem rüden Ton.
»Es ist meine Pflicht«, erklärte sie und wechselte dann das Thema, um das Mädchen zu beruhigen. »Wie ich höre, singst du gern Verse aus der Bibel.«
»Alles ist in den heiligen Worten enthalten«, erwiderte Gormán beinahe arrogant. »Alles.« Plötzlich starrte sie Fidelma fest in die Augen, und auf ihrem Gesicht bildete sich wieder dieses unheimliche Lächeln.
»Dein Schade ist verzweifelt böse,
Und deine Wunden sind unheilbar.
Alle deine Liebhaber vergessen dein,
Fragen nichts darnach.
Ich habe dich geschlagen, wie ich einen Feind schlüge.«
Unwillkürlich erschauerte Fidelma.
»Ich verstehe dich nicht …«
Gormán stampfte tatsächlich mit dem Fuß auf.
»Jeremia. Du kennst doch wohl die Bibel? Das ist eine passende Grabschrift für Muirgel.«
Damit wandte sie sich ab und eilte an der hohen Gestalt Schwester Ainders vorbei. Diese wollte mit ihr sprechen, aber das Mädchen hielt nicht an, und die Frau machte ihrer Empörung mit einem Ausruf Luft, weil Gormán sie fast aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
»Ist mit Schwester Gormán etwas nicht in Ordnung?« fragte sie Fidelma.
»Ich glaube, sie braucht dringend eine Freundin, die ihr raten kann«, antwortete Fidelma.
Schwester Ainder lächelte tatsächlich.
»Das mußt du mir nicht erst sagen. Sie bleibt immer für sich, redet zuweilen mit sich selber, als brauchte sie niemand anderen. Aber man sagt ja auch, daß die wahren Heiligen Engel sehen und mit ihnen sprechen. Ich würde sie nicht verurteilen, denn vielleicht hat sie einen stärkeren Glauben als wir anderen alle zusammen.«
Fidelma blieb skeptisch.
»Ich meine, sie ist einfach eine Seele in
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