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0804 - Der Zeithammer

Titel: 0804 - Der Zeithammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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hatten, beseelte sie und trieb sie zur Eile.
    Noch vor Mittag erreichten sie Bangsund und marschierten hindurch, ohne sich umzusehen. Denn der Instinkt sagte ihnen, daß hier das Ziel noch nicht war. Die Straße wich nach Osten vom Ufer des Fjords zurück und erklomm einen Bergrücken.
    Claus Bosketch marschierte an der Spitze der Gruppe.
    Hinter ihm kamen die jüngeren Männer, dann die Frauen mit ihren Kindern und am Ende des Zuges schließlich die älteren Männer als Nachhut. Diese Marschordnung hatten sie sich vergangenes Jahr in den Wäldern des Harz angewöhnt, als sie mehrmals von Wildschweinrudeln angefallen worden waren.
    Am höchsten Punkt der Straße blieb Claus Bosketch stehen. Er blickte nach Norden. Zu seinen Füßen zog sich ein Arm des Fjords. Zu beiden Seiten des Wassers erstreckten sich die Gebäudereste einer mittelgroßen Stadt - Namsos, wenn man Ver Bix glauben konnte.
    Dann erblickte Claus die Senke.
    Sie war ein riesiges, kreisförmiges Gebilde im Nordosten der Stadt, umgeben von einem Wall, der an einer Stelle durchbrochen war und dort einen Kanal in Richtung des Fjords entließ. Die Senke bedeckte einen Teil des früheren Stadtgebiets. Was sie enthielt, konnte Claus nicht erkennen.
    Dennoch wußte er sofort, daß sie jetzt endlich am Ziel waren!
    Das Gefühl, das ihn durchströmte, war ganz unbeschreiblich. Er spürte ein fast unwiderstehliches Verlangen, einfach den steilen Hang hinabzuspringen und den Umweg über die vielfach gewundene Straße zu sparen. Das ganz neue Glück, nach dem sie gesucht hatten - dort in der Senke war es! Es rief ihn zu sich.
    Es lockte mit aller Macht. Im letzten Augenblick besann sich Claus Bosketch, daß er des Glücks niemals teilhaftig werden würde, wenn er sich den Hang hinabstürzte. Er mußte sich beherrschen, nur wenige Minuten noch, und auf der Straße bleiben.
    Wie von selbst setzten sich die Beine in Bewegung. Claus Bosketch rannte den steilen Pfad hinab, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Laut gellte sein Schrei: „Wir sind am Ziel! Folgt mir!"
    Und sie folgten ihm. Jeder, so gut er konnte. Die Jungen überholten die Alten.
    Die Kinder blieben zurück, aber auch sie rannten die Straße entlang, so rasch sie konnten.
    In Serpentinen senkte sich die Straße zur Talsohle hin. Claus Bosketch blieb an der Spitze der Gruppe.
    In vollem Lauf umrundete er eine der haarnadelengen Kurven.
    Ein gerades Stück Straße streckte sich vor ihm. Noch schneller wurde der Rhythmus der Füße. Claus' Blick fraß sich an der grauen Oberfläche des Weges fest. Er sah weder rechts noch links.
    Er stürmte wie ein Tier, das sein Ziel aus dem Instinkt heraus kennt.
    Es gab nur eine einzige Unterbrechung. Claus Bosketch war der einzige, der sie wahrnahm.
    Aus der Höhe gellte ein spitzer ängstlicher Schrei. Irgend etwas war an diesem Laut, das Claus bewegte, in die Höhe zu blicken.
    Eines der Kinder war zu nahe an den Rand des höherliegenden Straßenstücks geraten. Claus sah den kleinen Körper wanken, die Arme wild um sich schlagen. Der Sturz war nicht mehr zu verhindern.
    Wie ein Stein sackte der Unglückliche in die Tiefe. Dicht neben Bosketch, hinter einem Busch, schlug er auf.
    Claus blieb stehen. Die anderen rannten ihn fast über den Haufen. Sie hatten den Sturz des Kindes nicht bemerkt oder störten sich nicht daran. Nach zahlreichen Knüffen und Püffen gelangte Claus bis an den Rand der Straße. Er schritt um den Strauch herum.
    Das Kind lag auf dem Rücken. Es hatte die Arme ausgestreckt und wirkte äußerlich unverletzt. Ein dünner Blutfaden rann ihm aus dem Mundwinkel über das Kinn. Die hellen Augen starrten Claus fragend an. Der Junge gehörte zu den Kindern, die sie in der Nähe von Lübeck in einem Versteck gefunden hatten. Er hieß Kim und war neun Jahre alt.
    „Ist das das ganz neue Glück, Claus?" fragte er mit schwacher Stimme.
    Claus beugte sich zu ihm nieder und strich ihm über die Stirn.
    „Ja, das ist es, Kim", antwortete er sanft.
    Kim lächelte.
    „Dann ... ist es gut", sagte er. „Ich habe immer ..."
    Mitten im Satz wurden seine Augen starr. Claus Bosketch kniete noch eine ganze Weile neben ihm. Das Getrommel der Füße war längst vorübergeeilt und verstummt.
    Mein Gott, dachte Claus, wenigstens ein paar müssen doch gesehen haben, wie er stürzte!
    Schließlich stand er auf. Es kam ihm nicht zu Bewußtsein, daß er in diesem Augenblick - zum letzten Mal für lange Zeit - wie ein Mensch fühlte und nicht wie der Sklave eines

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