0816 - Der Todesbaum
einen Fußabdruck im Staub hinter dem Tresen, der eben noch nicht da gewesen war - Zamorra mochte unsichtbar sein, seine Fußspuren im Staub konnten es aber nicht werden. Was hatte er nur vor?
»Sie muss ja nicht unanständig sein, um auf meinen Freund hereinzufallen. Er ist ein großer Meister, wissen Sie? Ein paar schöne Worte, ein paar Pralinen, ein Strauß Blumen…«
»Blumen«, ächzte der Mann jetzt. Angst schimmerte in seinen Augen. »Wann… äh, wann wollte Ihr Freund herkommen?«
»Irgendwann in diesen Tagen. Vorgestern oder gestern.«
»Er war nicht hier«, behauptete der Verkäufer rasch und sah Nicole eindringlich, fast beschwörend an. »Sie sollten nicht weiter nach ihm suchen. Das hier ist so ein kleines Dorf, Mademoiselle, wo sollte er schon stecken? Sie müssen sich geirrt haben. Es ist ein Mädchen aus einem anderen Ort. Die Bretagne hat viele schöne Gegenden.« Das Näseln der Stimme wurde fast ein wenig schrill. »Sie scheinen eine nette junge Frau zu sein. Schauen Sie sich doch noch ein bisschen in der Bretagne um, ja? Was hat Bocage-Noir schon zu bieten? Haben Sie schon die Küste gesehen?«
Damit schien er sich selber ein Stichwort gegeben zu haben, denn er sah sich suchend im Laden um.
»Wo ist denn Ihr Mann?«
»Was hast du denn dem armen Verkäufer erzählt, mein Schatz?« Zamorra trat, vollkommen sichtbar, hinter einem Ständer mit Mänteln heivor und lächelte. »Entschuldigen Sie bitte, Sie hat manchmal eine Art an sich, die einen ganz verrückt machen kann.«
»Ich kaufe nur noch rasch die Schokolade, Liebling«, zwitscherte sie lieblich und kramte ein paar Münzen aus der Tasche.
Als sie wieder draußen auf der Straße standen, bemerkte Nicole, dass etwas mit ihrem Liebsten nicht stimmte.
»Du hast zugenommen.«
»Ja. Etwa drei Kilo.« Zamorra klappte das Jackett auf und zeigte ihr den Ledereinband eines alten Buches.
Nicole zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Das ist der Wälzer, in dem der Verkäufer gelesen hat, als wir reinkamen. Du hast ihn geklaut?«
»Er hätte ihn mir sicherlich nicht freiwillig gegeben. Im Übrigen ist das egal, denn er hat ihn selbst gestohlen.«
»Und woher weißt du das?«
Zamorras Gesicht wurde düster.
»Es ist das Buch, das Jules Leroc an Pascal verkaufen wollte - das, was mir für meinen Artikel noch fehlt. Er hätte es nie freiwillig an diesen kleinen Ladenbesitzer verschachert. Es muss in seinem Wagen gewesen sein, als er herkam.«
»Oh. Soviel zu meiner Theorie der Liebestollheit.«
»Ja.« Zamorra nickte. »Jetzt wird es ernst.«
***
Wie ernst, das erfuhren sie keine halbe Stunde später.
Nachdem sie das Buch in den BMW gebracht hatten, setzten sie den Streifzug durch das Dorf fort, aber es gab nicht viel zu sehen. Die wenigen Leute, denen sie begegneten, wichen ihnen nach Möglichkeit aus. Bocage-Noir wirkte so, als würde es noch halb im Schlaf liegen.
Sie hatten den Rand des Ortes erreicht und sahen vor sich eine kleine Wildnis aus Bäumen und Gestrüpp, die sich einen Hügel hochzog. Ein Trampelpfad führte dort hinein und fing Zamorras Aufmerksamkeit.
»Hier sind ziemlich viele Leute langgekommen«, meinte er und deutete auf umgeknickte Zweige und Fußspuren. »Eine richtige kleine Prozession. Und ich wette, dass es keine Pilzsammler waren.«
»Schade, ich hatte mich auf ein schönes Ragout gefreut.« Nicole tastete nach dem E-Blaster und fand ihn sicher in ihrer Jacke. »Vielleicht sollten wir selber ein bisschen sammeln gehen. Der kleine Wald sieht sehr verlockend aus.«
»Gute Idee. Aber vorsichtig. Ich bin mir sicher, es gibt hier ein paar verdammt giftige Typen.«
Es war nicht schwer, dem Pfad zu folgen. Es konnte nicht lange her sein, seit eine Gruppe von Leuten hier im Gänsemarsch entlanggegangen war. An einem dornigen Zweig fand Nicole einige flaumige rote Fusseln.
»Das ist Fleece«, erkannte sie und rieb die Fasern zwischen den Fingern. »Der Rucksacktourist hatte einen Pulli aus dem Zeug an. Keiner sonst im Dorf trägt so moderne Kleidung.«
»Dann hat er also an diesem kleinen Familienausflug teilgenommen. Ich wette, das war nicht ganz freiwillig.«
»Was meinst du, was vor uns liegt? Ein Opferplatz?«
Der Pfad wand sich weiter den Hügel hinauf und wirkte sehr harmlos und unschuldig im Sonnenlicht. Zamorra ließ sich davon nicht beeindrucken.
»Ja, vielleicht. Wir werden es gleich sehen.«
Er trat einen weiteren Schritt vor -und die Hölle brach um ihn los.
Aus dem grünen Dickicht des
Weitere Kostenlose Bücher