082 - Die Geisterkadetten
keine Gewalt mehr über seine Glieder. Statt dessen kamen Worte über seine Lippen die er gar nicht sagen wollte.
»Hast du schon mal etwas mit einem Mann gehabt?« fragte er heiser. Seine Augen hatten sich seltsam verschleiert.
Die Stimme der Zigeunerin wurde hart.
»Einer wollte mich besitzen. Er ist tot und mehr als tot.« Ganz plötzlich schlug ihr Tonfall wieder um. »Aber du kannst mich haben. Komm her, komm her zu mir!« säuselte sie mit lockender Stimme. Ihre brennenden Augen starrten ihn an, lähmend, lockend und hypnotisierend.
Die Arme Duponts hingen schlaff herab. Fast zu spät bemerkte er, daß er im Begriff war, unheimlichen, suggestiven Kräften zu verfallen. Instinktiv schnellte er vorwärts und sprang die Frau an.
Die Plötzlichkeit und Wildheit seines Angriffs überraschte die Zigeunerin aber nicht sehr. Mit wütenden Abwehrbewegungen widerstand sie ihm. Die Arme der Ringenden fuhren wild durcheinander.
»Heimtückische Hündin«, knirschte der Polizist schwer atmend. Sein Gesicht verzerrte sich plötzlich und seine Bewegungen erstarrten.
Bei dem Handgemenge war das Tuch vom Kopf der Zigeunerin geglitten und gab einen zum Teil kahlen Schädel frei. Der spärliche Rest ihrer Haare war vom Feuer angesengt.
»Nein«, flüsterte Jean Dupont, der diese Frau jetzt erkannte, tonlos. Es war die Ermordete aus dem Zigeuner-lager. Er hatte es mit einer Toten zu tun, einer Abgesandten der Hölle.
Angesicht zu Angesicht standen sie sich gegenüber.
Die Zigeunerin faltete die Arme über ihrer Brust.
Wieder bohrten sich ihre Augen wie feurige Lanzen in das Gesicht des Mannes, der sich diesmal der übermächtigen Kraft ihrer Hypnose nicht entziehen konnte. Der Druck in seinem Kopf wurde immer schmerzhafter, die glühenden Augen vor seinem Gesicht immer zwingender.
»Küß mich«, flüsterte die Zigeunerin in sein verzerrtes Gesicht hinein. Sie hob ihren Mund bis fast an den seinen und wiederholte leise: »Küß mich.«
Der Polizist hatte plötzlich nur den einen Wunsch, den lockenden Mund zu küssen. Alles andere war ihm gleichgültig.
Sekundenlang nur berührten sich ihre Lippen. Im Handumdrehen verwandelte sich das Gesicht der Zigeunerin in eine Maske der Bachsucht.
Dupont fühlte sich schwach, unsagbar schwach, und als die Zigeunerin plötzlich in sein Ohr flüsterte, »nun tust du alles was ich dir sage«, war er fast glücklich.
»Du mußt jetzt die Tür aufschließen, hinter der der Mann liegt«, raunte die Stimme an seinem Ohr.
Der Gendarm begriff sofort. Er löste sich von der Frau, wandte sich zur Seite und nahm einen großen Schlüsselbund von einem Wandbrett. Die Schlüssel schlugen träge gegeneinander. Der metallische Laut kam ihm gröber und gellender vor als er in Wirklichkeit war. Wie eine Marionette bewegte sich der Gendarm vor der Zigeunerin her. Durch die Hintertür traten sie ins Freie. Der Regen hatte nachgelassen, nur ein scharfer Wind fegte um das Haus.
***
Vor der aus rohen Bohlenbrettern zusammengenagelten Tür des Anbaues baumelte ein großes Vorhängeschloß.
»Schließ auf«, flüsterte die Zigeunerin.
Duponts Geist war ausgeschaltet. Er hörte leise Orgelmusik, und es kam ihm vor, als ob er der kaum wahrnehmbaren inneren Melodie gehorchte.
Leise knirschend drehte sich der Schlüssel. Der Gendarm nahm das Schloß ab und öffnete. Schemenhaft waren die Umrisse der ärmlichen Totenkiste in dem ungewissen Zwielicht zu sehen.
Die Zigeunerin schob sich blitzschnell durch die Tür. Ihre Glieder bewegten sich mit einer eigenartigen Leichtigkeit unter der Hülle ihrer Kleider. Sie beugte sich über den Sarg und zog mit den Fingerspitzen ein paar kreuz und quer verlaufende unsichtbare Linien über den Deckel, wobei sie leise flüsterte. Nachdem sie dreimal mit den Knöcheln auf den Sarg geklopft hatte, richtete sie sich auf und verharrte in erregter Erwartung.
Wie in Trance und ohne sie vorerst recht zu begreifen, erlebte der Gendarm die nun folgenden Ereignisse.
Der Deckel der Totenkiste barst krachend und splitternd auseinander. Eine blutverschmierte Fratze schob sich ruckartig durch die entstandene Öffnung. Glühende, vor Mordlust flackernde Augen fuhren suchend umher. Zeitlupenhaft wuchs eine riesenhafte Gestalt aus dem Sarg, während die bleichen, verkrallten Finger die Reste des Sargdeckels von seinem Hals fetzten.
Der Bucklige hob die Beine und stieg mit plumpen Bewegungen aus der Kiste. Seine zu Klauen geformten Hände zuckten unterhalb des Brustbeins hin und
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