082 - Die Geisterkadetten
heiter und ausgelassen tanzten. Ihr Bruder Pierre kam lächelnd auf sie zu und forderte sie zum Tanz.
Als Jeanne Fresnac aufschreckte, wußte sie nicht, daß sie nur zwei Minuten geschlafen hatte. Es hatte an der Tür des Gastzimmers gepocht.
Pierre, war das einzige, was Jeanne dachte. Ihre geschmeidige Gestalt erhob sich aus dem Sessel. Mit einem leicht unsicheren Gang trat sie durch die Verbindungstür und durchquerte den Schankraum. Sie drehte den Schlüssel herum und schob den Riegel zurück. , Langsam und mit einem knarrenden Geräusch schwang die Tür auf.
Jeanne erschrak und öffnete ihre Lippen zu einem lautlosen Schrei.
Es war nicht Pierre.
Der fahle Schimmer des Mondlichts tauchte undeutlich gezeichnet die Gestalt eines Fremden in gespenstisches Zwielicht.
Der Mann trat langsam näher. Eine halbe Armlänge vor Jeanne blieb er stehen. Seine glühenden Augen bohrten sich in die des Mädchens.
Jeanne Fresnacs Schreck, Verzweiflung und Verlorenheit verwandelten sich plötzlich in seltsamer Umkehr in ein Gefühl des Glücks.
Sie sah nicht, daß der Schädel des Fremden verletzt war. Die feurigen, zwingenden Augen entrissen sie aller Vernunft. Statt der unheimlichen Erscheinung mit dem schrecklich zugerichteten Schädel, sah sie einen jungen gutaussehenden Mann, der plötzlich alle ihre so lange zurückgehaltenen Gefühle weckte.
»Komm herein«, flüsterte Jeanne Fresnac lächelnd. Ihre Zähne schimmerten feucht zwischen ihren wohlgeformten Lippen. Sie zog den Fremden in den Raum, schloß hastig die Tür und verriegelte sie wieder.
»Küß mich«, murmelte Jeanne mit vibrierender Stimme. Ihre Lippen näherten sich fordernd dem entstellten Gesicht.
Der Mann beugte sein bleiches Gesicht über sie.
Es kam Jeanne weder erschreckend noch sonstwie merkwürdig vor, daß seine Lippen an ihrem Hals entlangfuhren und sich plötzlich zwei spitze Eckzähne wie Nadeln in ihre Haut bohrten. Sie fühlte sich wie im Rausch, so als wenn sie einen über den Durst getrunken hätte nur noch viel schöner.
Langsam löste sich der saugende Mund von Jeannes Hals.
»Du bist jetzt genau wie ich«, raunte der Fremde in ihr Ohr.
Der Vampir richtete sich auf und sah sich wie suchend um. Von seinen Mundwinkeln liefen zwei rote Rinnsale zu seinem Kinn hinab.
»Wir haben noch viel zu tun, aber davon reden wir später, zuerst brauchen wir ein sicheres Versteck.«
Die hohle Stimme des Unheimlichen vertropfte im Raum.
Jeanne überlegte einen Augenblick, dann nickte sie. »Im Keller. Komm.«
Sie nahm zärtlich die kalte Hand des Vampirs, ging mit ihm ins Wohnzimmer und knipste die Lampe aus. Nur noch einmal flammte elektrisches Licht auf, und zwar in der blitzsauberen, weißgekachelten Küche. Dort nahm Jeanne eine Stablampe und einen großen Schlüsselbund von einer Anrichte.
»Gehen wir«, lächelte Jeanne, wobei sich zwei spitze Eckzähne blitzend aus ihren Mundwinkeln schoben. Das Licht verlöschte.
Die aus dicken, eichenen Bohlen bestehende Tür, die in die Kellerräume führte, wurde von Jeanne, nachdem sie sie passiert hatten, wieder sorgfältig verschlossen. Nur eines der noch von dem alten Chateau her bestehenden riesigen Gewölbe war von den Fresnacs als Lagerraum für Wein und Lebensmittel benutzt worden. Am anderen Ende dieses mit Regalen und Fässern ausgestatteten Kellers war eine Geheimtür, die nur Jeanne kannte und die sie nur durch einen Zufall entdeckt hatte.
Ihre Finger fuhren suchend über die grobe, unverputzte Wand und fanden einen metallenen Bolzen. Es gab ein leises knackendes Geräusch, ein Teil des Mauerwerkes schwang wie durch Zauberhand herum und gab einen schmalen Durchlaß frei.
Verbrauchte, vermoderte Luft schlug ihnen entgegen. Ratten huschten durch den Lichtstrahl aufgeschreckt umher.
Jeanne sprang vor und trat mit ihrem Fuß auf ein besonders fettes Exemplar, das sich langsamer als die anderen fortbewegte.
Mit einem anerkennenden Lächeln sah der Vampir zu, wie seine Gefährtin mit ihrem spitzen Absatz den Kopf des laut aufquakenden Tieres traf.
Jeanne Fresnac ließ die Geheimtür wieder zuschnappen.
Langsam bewegten sie sich vorwärts. Ihre Füße wirbelten jahrhundertealten Staub auf.
Sie schritten durch geschwungene Torbögen und Gewölbe in Regionen, in denen Jeanne noch nicht gewesen war, und in die sie sich als normaler Mensch nicht hereingetraut hätte. Jetzt, wo die Mächte des Bösen in ihr herrschten, lächelte sie, als der Lichtfinger ihrer Lampe in einem der Gewölbe über
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