082 - Die Geisterkadetten
Polizisten sahen eine mächtige alte Standuhr und zwei Ritterrüstungen. Alte Wehrgehänge und Schwerter hingen neben einigen, von der Zeit verdunkelten Ölgemälden an den Wänden. Blumenkrippen aus Messing standen auf den Tischen »Ich habe Sie fast erwartet, meine Herren«, murmelte Emile Fresnac. Er hatte eine messerscharfe Habichtnase. Sein schmaler Mund saß eingesunken über einem spitzen Kinn, das sich wie das Vorderteil eines orientalischen Schuhes nach oben bog, als wolle es mit der nach unten weisenden Nase zusammentreffen.
»Monsieur Fresnac, es handelt sich um Ihren Sohn Georges.« Der Inspektor räusperte sich. »Sie wissen was geschehen ist?«
»Ich weiß, daß mein Sohn Georges aus dem Sanatorium verschwunden ist. vor drei Wochen schon. Ich bin in großer Sorge. Was wissen Sie von ihm, Inspektor?«
»Ja dann, dann muß ich Ihnen leider die böse Nachricht bringen«, preßte Casteret hervor. Er gab dem alten Mann einen detaillierten Bericht der traurigen Geschehnisse.
Der Wirt richtete sich entsetzt auf, sein Gesicht verlor jede Farbe und sein an den Schläfen ergrautes Haar schien von einer Sekunde zur anderen weiß zu werden.
»Und es handelt sich wirklich um meinen Sohn?« fragte er benommen, als der Inspektor geendet hatte.
»Tut mir leid, aber es scheint leider festzustehen. Wir wollten Sie aber bitten, morgen bei uns zu erscheinen, um ihn zu identifizieren.«
»Es ist unvorstellbar«, murmelte Fresnac tonlos. Seine Hände krampften sich ineinander. »Er war zwar krank, aber immer ein ruhiger gehorsamer Junge. Das heißt, bis vor drei Wochen.« Der Wirt schwieg und starrte ins Leere.
Ein Geräusch in seinem Rücken ließ Inspektor Casteret herumfahren. Durch die Tür neben dem Schanktisch trat ein junges Mädchen, das im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend schön war.
Ein knapp sitzender roter Pulli und eine ebenso knapp sitzende schwarze Hose betonten ihre aufregenden Kurven. Dünne, geschwungene Augenbrauen, darunter schöne Augen, eine zarte Nase, volle Lippen, ein Gesicht, dessen fast sinnliche Züge jetzt durch einen unbestimmten Ausdruck der Sorge verhärtet waren.
»Guten Abend«, sagte sie mit einer klaren, wohltönenden Stimme.
»Meine Tochter Jeanne«, stellte der Wirt vor. »Die Herren sind von der Polizei«, wandte er sich an das Mädchen. Begleitet von hilflosen Gesten seiner Hände erzählte er ihr, was die Polizisten noch zu dieser ungewöhnlich späten Stunde zum Chateau geführt hatte.
»Das ist nicht wahr, Papa«, murmelte Jeanne Fresnac tonlos. Sie warf den beiden Polizeibeamten einen musternden und mißtrauischen Blick zu. »So etwas hätte Georges nie getan.«
»Entschuldigen Sie, Mademoiselle, aber er hat es anscheinend doch getan.« Inspektor Casteret sah das Mädchen mit bekümmertem Blick an.
»Ich weiß, daß es hart für Sie und Ihre Familie ist, aber Sie müssen den Tatsachen ins Auge blicken«, schloß er mit außerordentlicher Eindringlichkeit.
»Ja, das war’s eigentlich.« Seine fleischigen Hände auf die Tischkante aufstützend erhob sich Inspektor Casteret.
»Ihre Frau ist tot, Monsieur Fresnac?«
»Sie starb bei der Geburt von Georges und Pierre. Sie waren Zwillinge, Pierre ist völlig gesund. Er lebt als Auslandskorrespondent einer Zeitung in England. Wir haben uns nie sehr gut verstanden und kaum noch Verbindung.« Der Wirt saß da, die Finger-spitzen an die Stirn gepreßt, die Augen geschlossen.
»Ich habe jetzt nur noch Jeanne.«
Mit schwerfälligen Bewegungen erhob Jules Fresnac sich und sah dem Inspektor in die Augen. »Die Krankheit Georges hat mir schon viel Kummer gemacht, aber dieses ist mehr als ein Mensch ertragen kann« schloß er matt.
»Vater!« rief Jeanne vorwurfsvoll.
»Ja, mein Kind?« Jules Fresnac wandte sich seiner Tochter zu.
»Bist du denn sicher, daß Georges ein Mörder ist?« Ihre Augen blitzten und ihre Wangen waren jetzt ganz blutleer. »Wir müssen uns doch zumindest erst davon überzeugen, daß er es war.«
»Sie können jetzt ruhig gehen, meine Herren«, wandte Jeanne Fresnac sich an die Polizisten. »Wir kommen morgen früh ins Dorf und sehen uns den Mann an.«.
»Ja, bitte tun Sie das«, entgegnete Inspektor Casteret freundlich. Es war ihm unmöglich, Jeanne Fresnacs Zweifel, an die sie sich hoffnungsvoll klammerte, noch einmal zu zerstören.
Die beiden Polizisten verließen nach einer kurzen Verabschiedung das Gasthaus »Chateau«.
»Das Leben kann manchmal hundsgemein sein«, murmelte der
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