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Sonst noch Was

Sonst noch Was

Titel: Sonst noch Was Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof.
    Ich war elf Jahre alt, und es war der Beginn der Sommerferien. Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof, weil ich zu meinem Onkel Hans in den Westerwald fuhr. Das passte ihr gar nicht, und sie nörgelte die ganze Zeit herum: »Ausgerechnet.
    Ausgerechnet zu Onkel Hans«, sagte sie. »Sonst noch was.« (›Sonst noch was‹ war ihr Lieblingssatz.)
    »Diese Wirtschaft kann ich mir schon vorstellen.
    Wasch dir ja den Hals. Und die Füße.«
    »Jaja«, sagte ich und versuchte, sie nicht merken zu lassen, wie sehr ich mich auf diese Reise freute. Ich mochte Onkel Hans nämlich gern und war traurig darüber, dass er seit einiger Zeit nicht mehr bei uns wohnte. Er war Mutters älterer Bruder, unverheiratet, und er hatte jahrelang ein Zimmer bei uns bewohnt.
    Sie kochte und wusch für ihn und schimpfte mit ihm herum: »Rauch nicht so viel!«, »Was, schon wieder ein Schnäpschen?«, »Du könntest auch mal wieder zum Friseur gehen!«, und so weiter, den ganzen Tag, und er streckte ihr hinter dem Rücken die Zunge heraus und zwinkerte mir zu.
    Onkel Hans spielte Lotto, immer dieselben Zahlen, und eines Tages hatte er tatsächlich gewonnen, und zwar tüchtig. Das ist wirklich wahr! Er hatte fünf Richtige und hat ein paar hunderttausend Mark dafür bekommen. Davon hatte er meiner Mutter etwas gegeben, weil auch ihr Geburtstag unter den Gewinnzahlen war, die 27 und die 6, und weil sie immer gejammert hatte: »Ich weiß nicht, wieso die Kartenkämper’sche sich so aufdonnern kann, seidene Tücher, Hüte und dauernd neue Schuhe, ich jedenfalls kann mir das nicht leisten, und sie ist doch auch nichts Besseres!«
    »Da«, sagte Onkel Hans eines Tages und legte ihr ein dickes Päckchen Scheine auf den Küchentisch,
    »jetzt kannst du dir seidene Tücher, Hüte und neue Schuhe kaufen!«
    Und meine Mutter war gerührt, putzte sich die Nase in der Schürze, sagte: »Hans, das wär doch aber nicht nötig gewesen! Also gut, dann kriegt das Kind nun doch ein Klavier.« und steckte das Geld ein.
    Onkel Hans blieb immer noch sehr viel übrig, und davon erfüllte er sich seinen Lebenstraum: Er kaufte sich einen kleinen Bauernhof im Westerwald. Das Höfchen hatte ein entfernter Vetter von ihm jahrelang bewirtschaftet, aber der entfernte Vetter war nun alt und klapprig geworden und zog zu seiner Schwester nach Wuppertal.
    »Hast du dir das gut überlegt«, schrieb ihm Onkel Hans, »ausgerechnet zu deiner Schwester, ich weiß, wovon ich spreche!«
    Aber er konnte das kleine Anwesen kaufen und endlich da leben, wo er schon immer hatte leben wollen: auf dem Land. Und er konnte Tiere halten.
    Onkel Hans war sein Leben lang Lastwagenfahrer gewesen und hatte immer sehnsüchtig von den Autobahnen auf die grünen Wiesen geguckt, wo die Schafe und die Kühe standen. Er stammte von einem Bauernhof, wie auch meine Mutter, die aber froh war, den Dreck und das Vieh und das Landleben hinter sich zu haben. (»Land? Sonst noch was!«) Onkel Hans dagegen hatte sich immer zurückgesehnt, und nun konnte er sich seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen: Er kaufte den kleinen Hof, fuhr ein letztes Mal mit dem Lastwagen, diesmal mit seinen eigenen paar Möbeln – und war weg. Sein Zimmer wurde frisch tapeziert und tagelang gelüftet, weil der Zigarrenrauch darin hing, und dann wurde es mein Zimmer, in dem ich abends lag und an Onkel Hans im Westerwald dachte.
    Er schrieb uns Briefe, denn ein Telefon hatten wir damals noch nicht. »Liebe Gertrud«, schrieb er und
    »Hallo, kleine Käthe« (ich heiße Katharina, aber Onkel Hans nannte mich immer ›kleine Käthe‹), »ihr glaubt nicht, wie schön es hier ist: nur Natur! Ich habe das Haus weiß gestrichen und mir schon vier Hühner und einen Hahn gekauft, ratet mal, wie die heißen?«
    »Na«, knurrte meine Mutter, »wie werden Hühner schon heißen, Berta, Klara, Wanda und Emma. Und Natur! Was will er mit Natur, wo er den ganzen Tag eine Zigarre im Mundwinkel hängen hat?«
    »Lieber Onkel Hans«, schrieb ich, »wie heißen deine Hühner? Und weckt dich der Hahn morgens? Um wie viel Uhr?«



Er hatte immer sehnsüchtig von den Autobahnen auf die grünen Wiesen geguckt.
    Onkel Hans schrieb: »Die Hühner heißen Monika, Helga, Christel und Caroline, und der Hahn heißt Quint, weil er der Fünfte auf dem Hühnerhof ist und weil er um Punkt fünf Uhr kräht.«
    »Monika!«, rief meine Mutter. »Christel! Sonst noch was! So heißen doch keine Hühner! Das sind alles mal seine

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