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083 - Das Ende der Unschuld

083 - Das Ende der Unschuld

Titel: 083 - Das Ende der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Gang. Wie ein Schlafwandler bewegte er sich. Er führte sie zum Einstieg des Kamins.
    Nacheinander kletterten sie in die Grotte hinab, Tenna’wan als letzter.
    Als Stunden später das Morgenlicht am Ende des Schachtes aufglühte, kam das Tier zu ihnen herunter. Tenna’wan fraß es als ersten.
    Bis hierher und nicht weiter, raunte die Macht in Birgel’wosts Kopf. Umkehren, zurück.
    »Nein, nein…« Seine Knie und sein Rücken scheuerten sich blutig am schroffen Fels, seine starken Hände umklammerten die Vorsprünge, als wollten sie das Gestein zerdrücken, seine hornhäutigen Zehen verkrampften sich in Felsspalten. Doch keinen Fingerbreit voran kam er mehr. Es war, als würde er sich gegen eine unsichtbare Barriere stemmen, als würde diese Barriere seinen Willen aufsaugen…
    Der Narod’kratow Birgel’wost war der Hartnäckigste und Zähste von allen dort unten in der Grotte, ohne Zweifel. Aber nicht einmal ihm gelang es, die unsichtbare Barriere zu überwinden, mit der die Macht im See den Schacht versperrte.
    »Komm zurück, Birgel’wost!«, rief unter ihm jemand aus der Dunkelheit. »Siehst du nicht das Licht? Bald wird das Biest uns wieder heimsuchen. Komm zurück!«
    Mit dem Handrücken wischte Birgel’wost sich Schweiß und Tränen aus den Augen. »Warum? Warum…?« Er starrte nach oben. Tatsächlich - dort, acht oder neun Schritte schräg über ihm schimmerte ein matter Lichtfleck. Die Sonne war aufgegangen. Er atmete schwer, weinte und starrte.
    Bis etwas den Lichtfleck bedeckte. Birgel’wost hielt den Atem an, lauschte. Etwas scharrte, etwas schnüffelte. Das Tier!
    Er stieß sich ab, rutschte hinunter, blitzschnell. Er achtete nicht auf das scharfkantige Gestein, er achtete nur auf das Schnüffeln und Scharren. Es näherte sich, und mit ihm ein galliger Gestank. Birgel’wost keuchte. Hände schlossen sich um seine Knöchel, zogen ihn in die Grotte zurück.
    Und dann füllte sich die Dunkelheit mit Getrampel, Geflüster, mit Jammern und Zischen. Die Grotte maß gut sechzig auf fünfundachtzig Schritte, und jeder versuchte sich in irgendeine Nische, unter irgendeinen Felsvorsprung zu flüchten. Birgel’wost tat, was er immer tat, wenn das Tier kam: Er stolperte dorthin, wo das Geflüster und Gejammer am lautesten war, wo also die meisten Gefangenen sich zusammen drängten.
    Er war stark und zäh. Jahrelange Arbeit unter Tage hatten seine Muskeln hart und seine Ellenbogen, Hände und Füße schwielig gemacht. Also schlug er um sich, trat nach allen Seiten, stieß mit den Ellenbogen nach rechts und nach links, packte irgendeinen, den er im Dunkeln erwischte, und riss ihn hinter sich. Bis er sich in der letzten Reihe der Zitternden an die Felswand pressen konnte.
    Etwas prallte schwer und dumpf am Boden der Grotte auf.
    Etwas scharrte und schnüffelte. Bald schrie einer. Knochen splitterten. Fleisch zerriss. Dann hörte man es aus der Dunkelheit schmatzen…
    ***
    »Jede Einzelheit ist wichtig, Quart’ol«, sagte Matt. »Jede.« Sie hockten oder standen am Ufer und auf der Brücke, die über den Flusslauf führte.
    Halb lag, halb saß der Hydrit im Wasser mit dem Rücken zur schwachen Strömung. Die Schwimmhäute zwischen den Fingern gespreizt, bewegte er die Arme. Die Flossen an Beinen und Oberarmen wedelten und schlugen kleine Schaumkronen.
    Der Flossenkamm auf Quart’ols Schädel hing schlaff zur Seite, seine grünlichblaue Färbung wirkte matt und stumpf.
    Von allen kannte Matthew Drax die Hydriten am besten. Er wusste, was der schlaffe Kamm und Quart’ols matte Färbung zu bedeuten hatten: Der Hydritische Wissenschaftler war niedergeschlagen.
    Auch Rulfan und Dave sahen es gleich - mit Quart’ol und Mer’ol gemeinsam hatten sie ja die lange Reise von England hierher zum Kratersee bewältigt. Zeit genug, um Mentalität und Körpersprache auch einer fremden Rasse wenigstens ansatzweise kennen zu lernen.
    Und wer aus der Crew sie noch nicht verstand, wusste immerhin, dass Quart’ol seinen Gefährten Mer’ol verloren hatte. Verschleppt von Riesenrochen während des Tauchgangs zum Seegrund. Lebte Mer’ol noch? Niemand wusste es zu sagen.
    Quart’ol glaubte es. Seine Intuition sagte ihm, dass sein Assistent noch lebte.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Dave.
    »Was quält ihr mich?« Schon die Art, wie der Hydrit sprach - gedehnt, leise und mit fast tonloser Stimme -; jeder, der Ohren hatte, konnte hören, wie erschöpft er war. Quart’ol ließ den Kopf nach hinten bis zu den Augen ins

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