0835 - Im Kreisel der Angst
herziehend. Ich hörte das Klatschen, wenn die schweren Flocken auf das Glas trafen, und ich dachte daran, daß der Wagen sicherlich eine Haube bekommen hatte. Suko und die tote Shao waren wie zwei Spukgestalten verschwunden. Eine dumpfe Stille umgab mich.
Ich schaltete die Wischer ein. Sie kämpften schwer gegen die weiße Masse an. Zwei Halbkreise erschienen, gegen die augenblicklich weitere Flocken tupften, so daß ich die Wischer nicht ausstellte.
Vor mir lag ein dunkles Gelände. Viel war nicht zu sehen. Die Mauer oder die alten Bauten konnte ich höchstens ahnen. Sie hoben sich wie schwach gezeichnete Schatten ab. Immer wieder verwischt von den wirbelnden Böen, die den Schnee aus verschiedenen Himmelsrichtungen herantrieben.
Mir war es zu warm geworden. Ich ließ die Seitenscheibe herunter.
Kühle Luft drang gegen mein Gesicht. Nasse Flocken umwirbelten mein Gesicht. Sie schmolzen auf der Haut, hinterließen kleine Perlen. Ich drehte die Scheibe wieder hoch.
Eine gewisse Zeitspanne hatte ich mit Bill nicht ausgemacht. Sollte er allerdings zu lange fortbleiben, wollte ich mich schon auf den Weg machen, um ihn zu suchen. Die Richtung, in der er gegangen war, kannte ich schließlich.
Die Zeit wurde mir lang. Es gehört nicht eben zu meinem Hobbys, im Auto zu sitzen und auf ein Ereignis zu warten. Ich war ein Mann der Tat, ich mußte mich bewegen, ich wollte…
Meine Gedanken stockten.
Ich hatte etwas gesehen.
Einen Schatten - nein, es waren zwei!
Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr gut…
***
»Wir brauchen eine Leiche!« hatte Wesley Dragg gesagt.
Gil Atoro hatte nur genickt und war ansonsten damit beschäftigt, seine Fingernägel so zu schneiden, daß sie Dolchspitzen ähnelten.
»Woher willst du sie holen?« hatte Amy Potter gefragt. Sie war die dritte im Bunde.
»Das ist das Problem.«
»Aus der Leichenhalle.«
»Nein, Amy.«
»Ausbuddeln«, schlug Gil Atoro vor. »Gefällt mir ebenfalls nicht.«
»Dann mußt du dir eine malen.«
»Ich kann dir auch die Kehle durchschneiden, Gil.«
Atoro grinste und spreizte die Finger. Er stieß sie gegen das Gesicht des Anführers. »Komm her und versuch es. Sie sind spitz genug. Die jagen in deine Haut wie Messer.«
»Hört doch auf, verdammt!« Amy ärgerte sich, wenn die beiden sich stritten. Es kam nie etwas dabei heraus.
Dragg behielt seine Position, und Gil hatte das Nachsehen.
»Es steht fest, daß wir eine Leiche brauchen!« erklärte Dragg. »Da spielt es keine Rolle, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Sie sollte jedoch nicht zu alt sein.«
Amy nickte, während Gil die Schultern hob. »Also käme die Leichenhalle oder ein ausgebuddelter Toter nicht in Frage.«
»Stimmt.«
»Ist es egal, ob der Leichnam ein Europäer, ein Asiate oder Afrikaner ist?«
»Ja, das ist egal.«
»Das ist gut«, murmelte sie.
Wesley Dragg erhob sich und schüttelte seine Beine aus. »Das hört sich an, als hättest du eine Idee?«
Amy grinste.
»Sag schon.«
Die Dreiundzwanzigjährige ließ sich Zeit. Gelassen strich sie über ihr kurzes Haar. An den Ansätzen waren die Stoppeln blond, weiter oben schimmerten sie kupferfarben. Der Schnitt hatte ihr Gesicht etwas eckig gemacht, auch deshalb, weil sich Amy die Haare im Nacken wegrasiert hatte. Ihre Augen standen etwas weit auseinander, die Nase war klein und kantig, der Mund wieder ein wenig weich. Sie trug Jeans und einen gestreiften Pullover. »Ich hätte da schon eine Idee. Es geht um meinen Onkel.«
»Ist der tot?«
»Nein, der lebt. Gestern abend war ich noch mit ihm zusammen. Mein Alter wurde fünfzig.«
»Ist der nicht bei den Bullen?« fragte Gil und hauchte danach die Fingernägel an.
»Ist er.«
»Dann kannst du ihn vergessen.«
»Verdammt noch mal, es geht doch nicht um ihn. Es geht darum, was mein Onkel in seinem besoffenen Kopf erzählt hat. Er sprach von einer Toten. Das ist wohl das Thema beim Yard gewesen. Da muß ein Chinese seine Freundin verloren haben.«
»Pech für ihn.«
»Scheiße, laß mich ausreden, Gil!«
»Dieser Chinese ist nicht irgendwer. Der arbeitet beim Yard. Daß er seine Freundin verloren hat, ist dort Tagesgespräch, und zwar aus einem Grund. Er will sie nämlich nicht normal beerdigen. Versteht ihr? Die bekommt kein Grab wie jeder andere.«
Sie verstanden nichts, waren baff, blieben stumm, bis Wesley ungeduldig die rechte Hand bewegte.
»Weiter, weiter«, forderte er Amy auf. »Was sagt man noch?«
Sie genoß das Gefühl der Überlegenheit. Wie oft hatte
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