0835 - Im Kreisel der Angst
soll Suko also zurückhalten.«
»Ja, wenn möglich.«
Ich nickte vor mich hin. »Das ist natürlich nicht einfach. Er hat eben andere Vorstellungen als wir. Er will Shao nach gewissen Totenriten begraben, von denen ich keine Ahnung habe. Er möchte dabei auch nicht gestört werden, das hat er mir gegenüber sehr deutlich erklärt, und ich werde mich daran halten müssen.«
Der Superintendent überlegte. »Wo befindet sich Shao jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Suko hat sie weggeschafft. Er wird sie dann holen wollen, um mit dem Ritual zu beginnen. Ich weiß auch nicht, warum er das tut, ich habe ihn gefragt, aber keine konkrete Antwort erhalten. Mir ist auch nicht bekannt, ob er dabei allein sein wird, denn wie Sie auch wissen, hat er zahlreiche sogenannte Vettern. Es hat zwischen ihm und zahlreichen Landsleuten stets eine Verbindung bestanden. Man holte sich Rat oder half sich gegenseitig. Das alles sind Dinge, die wir auf keinen Fall außer acht lassen sollen. In gewisser Weise ist mir Suko fremd.«
»Ja, das verstehe ich.«
»Ich werde ihn auch nicht zurückhalten können, Sir. Es ist unmöglich. Was er sich einmal in den Kopf gesetzt hat, führt er durch. Er kann nicht anders, und er wird auch die Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen.«
»Und Sie bleiben allein, John?«
»Sicher. Wen soll ich an meine Seite stellen?«
»Bill Conolly?«
»Ich kann ihn fragen.«
»Halten Sie die Idee denn für gut?«
»Tja«, sagte ich und holte tief Luft. »Teils, teils. Ich möchte es zunächst einmal allein versuchen. Komme ich allein nicht weiter, weihe ich Bill ein.«
Sir James lächelte. »Ich denke, das ist der Kompromiß, auf den wir uns einigen können.«
Es waren seit diesem Gespräch zwei Tage vergangen. Das Weihnachtsfest war gelaufen, und mir war diese Zeit noch nie so lang vorgekommen wie in diesem Jahre.
Suko hatte die Tage in seiner Wohnung verbracht. Ich war ebenfalls zu Hause geblieben, trotz einiger Einladungen meiner Freunde. Ich wollte Suko einfach nicht aus meiner Nähe lassen. Unsere Wohnungen lagen nebeneinander. Ich würde merken, wenn sich etwas anderes ergab. Ich hatte auch hin und wieder mit Suko gesprochen. Belanglosigkeiten, mehr Sätze, um ihn zu kontrollieren, als etwas Konkretes zu sagen, das uns auch beide weiterbrachte.
Suko war dies natürlich aufgefallen. Er hatte mich einmal festgehalten, als ich seine Wohnung verlassen wollte. »John, du kannst es nicht ändern.«
»Was, bitte?«
»Daß ich meinen Weg gehe.«
Zuerst hatte ich gelächelt, war dann sehr ernst geworden. »Was heißt denn dein Weg?«
»Das weißt du sehr genau.«
»Du wirst es mir schon erklären müssen.«
Suko schüttelte den Kopf und sprach trotzdem. »Du wirst mich nicht daran hindern können, Shao so zu begraben, wie ich es will. Hast du verstanden, John?«
Ich schaute ihn an. Sein Gesicht war blaß geworden. Die Haut spannte sich. Die Augen wirkten noch kleiner als sonst. Ihr Blick war tränenverhangen.
Suko war traurig, aber war auch unheimlich hart und willensstark geworden. Ich wußte, daß ich bei ihm auf Granit biß, und mein zustimmendes Nicken war sehr langsam, mehr angedeutet.
»Wer sagt, daß ich dich daran hindern will?«
Er lächelte. »Ich sehe es dir an, John.«
»Ach ja.«
»Ich kenne dich.«
»Das habe ich von dir auch geglaubt, Suko.«
»Jeder Mensch reagiert anders. Ich muß diesen Weg gehen, und du solltest dies akzeptieren. Es ist ein MUSS, es gibt Gesetze, die nicht übertreten werden dürfen. Das alles solltest du wissen, und ich möchte, daß du mich akzeptierst.«
»Du willst also deinen Weg gehen?«
»So ist es.«
»Einen gefährlichen Weg?«
»Ich weiß es nicht. Das Leben an sich ist gefährlich. Aber was sage ich dir das? Ich will jetzt von Shao Abschied…«
Ich hatte den Rausschmiß verstanden, schaute ihn noch einmal an und sagte: »Ich hoffe, du weißt, was du da tust.«
»Bestimmt.«
So und ähnlich waren die Gespräche verlaufen. Ich kam an Suko einfach nicht heran und konnte diesen Panzer nicht durchbrechen, den er um sich herum aufgebaut hatte.
Seinen eigenen Weg gehen?
Ich fragte mich, wohin er führte, und ich spürte tief in meiner Brust einen stechenden Schmerz.
Eine böse Vorahnung?
***
Zu lange hatte ich stillgesessen, mein linkes Bein war eingeschlafen, und die Vergangenheit, mit der ich mich gedanklich beschäftigt hatte, verwischte allmählich.
Ich hatte Suko gehen sehen, die Tote lag auf seinen Armen, und es war mir verdammt
Weitere Kostenlose Bücher