0835 - Im Kreisel der Angst
schwergefallen, im Wagen zu bleiben, aber so war es abgesprochen, denn jemand anderer verfolgte den Inspektor, und zwar Bill Conolly.
Es war uns gelungen, sehr günstig zu parken. Wir konnten die schmale Straße beobachten, ohne selbst gesehen zu werden, und diese Straße, kaum befahren, wand sich durch eine Gegend, in die sich ein Tourist nur zufällig verirrte. Ansonsten war hier alles tot, zumindest nach außen hin. Früher hatte es hier Betrieb gegeben, aber da stand der Hafen noch voll unter Dampf. Im Zeichen der Rationalisierung und auch der Rezession waren viele Anlagen stillgelegt worden. An den Piers legte kein Schiff mehr an, da standen Lagerhäuser leer, da verrottete Material, aber man sanierte noch nicht, weil Investoren fehlten. Diese Leute waren an anderer Stelle aus Schaden klug geworden, als man Blocks abriß und elegante Wohngebäude baute, sie mit Geschäftsetagen vermischte und schließlich keine Mieter fand. Das gesamte Objekt war in eine riesige Pleite gesegelt, und deshalb gab es kaum noch Sanierungen in dieser Gegend.
Was nicht erneuert wurde, gammelte vor sich hin. Das war eine Tatsache und würde sich auch nicht so leicht ändern. Viertel wie diese zogen lichtscheues Gesindel an, obwohl ich keinen Menschen sah. Ich wußte aber, daß ich zwar allein in meinem alten Rover hockte, aber sicherlich nicht allein war, abgesehen von Bill und Suko.
Natürlich fragte ich mich, wohin Suko mit der toten Shao wollte. Er hatte es mir nicht gesagt, er hatte die Leiche seiner Freundin auch nicht freigegeben, obwohl dies nicht den normalen Regeln entsprach. Aber war Shao denn normal?
Nein, sie lebte zwar, aber sie war nicht mit einem normalen Menschen zu vergleichen. Sie war der letzte Sproß in der Ahnenreihe der Sonnengöttin Amaterasu, die sich als Gefangene im Dunklen Reich befand, und Shao hätte dafür sorgen können, daß sie freikam.
Es war ihr nicht möglich gewesen, denn eine Hexe Tatjana hatte dem einen Riegel vorgesetzt.
Jetzt war sie tot.
Tot… tot…
Ich konnte mich mit dieser Tatsache einfach nicht abfinden. Schon einmal war sie auf eine sehr merkwürdige Art und Weise gestorben, als die Trommler des Ondakoza ihr das Leben genommen hatten, aber das war nur die Hinführung in eine andere Existenz gewesen, aus der sie nun der Tod herausgerissen hatte.
So einfach war das.
Wirklich so einfach?
Mußten wir Shaos Tod tatsächlich akzeptieren? Suko hatte dafür plädiert, ich aber wollte ihm da nicht so recht glauben, denn ich hatte das Gefühl, als käme da noch etwas nach. Allein das Begräbnisritual störte mich und ließ gleichzeitig darauf schließen, daß noch etwas nachkam. Ich hätte viel dafür gegeben, um zu erfahren, was Suko mit der Toten vorhatte. Aber da war nichts zu machen gewesen. Er hatte geschwiegen. Wenn Suko nicht reden wollte, dann blieb es dabei.
Ich hatte meine Hoffnung auf Bill Conolly gesetzt. Er wußte Bescheid, ihm war auch klar, daß er verdammt vorsichtig sein mußte, denn Suko sollte von einer Verfolgung auf keinen Fall etwas bemerken, wobei ich darüber nachdachte, daß er sicherlich mit einer Verfolgung rechnete. Dazu war er eben zu sehr Profi.
Andererseits hatte Suko sein normales Leben durchgestrichen. Für ihn gab es nur Shao. Sie allein mußte einem bestimmten Ritual unterzogen werden, wie ich mir vorstellte. Wahrscheinlich hatten die beiden dies sogar zu ihren Lebzeiten abgesprochen.
Bisher hatte ich keine Beweise und konnte nur hoffen, daß sie Bill brachte. Ich streckte das Bein immer wieder aus und stellte fest, daß sich die Durchblutung normalisierte.
Dann schaute ich nach vorn.
Viel war nicht zu sehen. Eine dicke Schicht klebte auf der Frontscheibe. Der Schnee pappte an, nur an den Rändern hatte er sich etwas gelöst und rann in Schlieren über das Glas hinweg. Er bekam immer wieder Nachschub aus den dicken, schneeprallen Wolken, die tief über London hingen und ihren weißen Schnürenvorhang der Erde entgegenschickten, wo er sich ausbreitete wie ein gewaltiges Leichentuch, das irgendwann einmal wegschmolz.
Hier war der Boden noch warm. Der nasse Schnee taute schnell weg, er wurde wieder zu Wasser, das mit schmatzenden Geräuschen den Gullys entgegengurgelte.
Mein Rover schneite allmählich zu. Durch die Frontscheibe konnte ich kaum noch etwas sehen. Ich drehte mich und versuchte es an den Seitenscheiben. Auch dort klapperte sich die Masse fest. Weiß, dick und pappig. Sie lief lautlos nach unten, dünne Wasserstreifen hinter sich
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