0836 - Die Traumzeit stirbt!
erreichten sie schließlich Zentralaustralien. Die Dunkelheit begann sich über das Land zu breiten. Die untergehende Sonne tauchte den in weiter Ferne auftauchenden Uluru, den die Weißen Avers Rock nannten, in ein wundervolles, orangefarbenes Licht. Der riesige Felsen wirkte wie ein strahlendes Juwel inmitten der dunkelgrünen Graslandschaft und des graublauen Himmels. Zamorra und Nicole wussten aber genau, dass es nicht diese magischen Anblicke waren, die den Uluru zu einem zentralen Heiligtum der Aborigines machten. Die Uraustralier legten andere Maßstäbe an ihre Umgebung, die sie auf den Weißen unbegreiflichen Pfaden erwanderten. Nur auf diesen erfuhren sie, ob ein Felsen tatsächlich ein Felsen oder auf gänzlich andere Weise in die Traumzeit eingebettet war.
Weiter westlich erhoben sich, nicht weniger wunderbar beschienen, Kata Tjuta , die »glatten Köpfe« ebenso »unmotiviert« aus der weiten Gras- und Sandebene. Die Weißen glaubten , dass diese von ihnen »Olgas« genannte Felsformation neben dem Ayers Rock das zweite aus dem Boden ragende Ende desselben gigantischen Felsens war. Die Aborigines wussten es. Shado drückte die Nase der Piper langsam nach unten. »Bald sind wir da«, flüsterte er. »Ich glaube, ich werde sehr froh sein, schnell wieder von Woturpa wegzukommen.«
»Du gehst nicht mit uns?«, fragte Nicole verwundert.
»Nein. Woturpa will, dass nur ihr beiden bleibt. Mich duldet er nicht.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht«, gab Shado zu.
»Du hast ihn nicht danach gefragt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Er will es so, das genügt mir.«
»Nichts da«, bestimmte Nicole. »Du wirst in unserer Nähe bleiben, Shado. Mister Woturpa muss es ja nicht wissen. Wer weiß, ob wir dich nicht plötzlich brauchen.«
Der Aborigine willigte nach kurzem Zögern ein.
»Dieser Woturpa scheint ein wenig bossy zu sein«, fuhr Nicole fort. »So sagt ihr Australier doch, oder?« Sie beugte sich nach vorn und legte dem-Yolngu die Hand auf die Schulter. »Eins garantiere ich dir, Shado. Wir lassen uns von ihm nicht herumkommandieren. Wenn er uns krumm kommt, werden wir ihm gleich mal kräftig die Flügel stutzen. Oder was meinst du, Chéri?«
»Abwarten und Tee trinken«, brummte Zamorra. »Wollen wir ihn mal nicht vorverurteilen. Er kämpft immerhin im Dienst einer guten Sache.«
***
Zwischenspiel, nahe Vergangenheit
Der junge Namatjira liebt Bima, das wunderschönste Mädchen, das der Stamm der Aranta jemals hervorgebracht hat. Vor wenigen Wochen hat Namatjira all die Jahre andauernden Rituale hinter sich gebracht, die ihn zum Woadi, zum »vollständigen Mann«, machen. Jetzt, da er kein Wuiei, kein Unbeschnittener mehr ist, darf er um Bima freien.
Aber Namatjira traut sich nicht, Bima anzusprechen. Er ist schüchtern. Also bleibt ihm nur ein Weg, der des »Mädchenträumens« nämlich.
Ein gefährlicher Weg, weil die alten magischen Formeln genau benutzt werden müssen. Sonst kostet es ihn den Verstand oder das Leben. Namatjia ist noch zu jung, um das alte und geheime Wissen schon vollständig zu kennen. Deswegen wendet er sich an den betagten, erfahrenen Woturpa.
Woturpa willigt ein, dem jungen Mann beim »Mädchenträumen« zu helfen. Die beiden Männer zweier unterschiedlicher Generationen sind nun Verbündete, ganz so, wie es das »Alte Gesetz« vorschreibt. Sie entfernen sich heimlich vom Lager und wandern zu einer abgelegenen Stelle im Busch. In weiter Ferne sehen sie die Hermannsburg-Mission. Das strahlend weiße Haus mit dem Kreuz auf dem Dach unter schönen, alten Akazien ist die erste christliche Kirche, die in Zentralaustralien gegründet wurde. Der Orden der Deutschen Lutheraner missionierte von hier aus die Aranta, den Hauptstamm dieser Gegend westlich von Alice Springs.
Woturpa verachtet diesen Bau, das noch immer bestehende Symbol der Entwurzelung vieler Brüder und Schwestern.
Der alte Aranta spuckt in Richtung des christlichen Gotteshauses, bevor sie mit dem Ritual beginnen. Sie entzünden ein Feuer, als die Finsternis hereinbricht, sie singen die ganze Nacht über die alten, geheimnisvollen Weisen. Woturpa lehrt Namatjira, wie Bumerangs und Musikhölzer zur rhythmischen Unterstützung aneinander geschlagen werden, um die Gunst der Geister zu gewinnen. Denn ohne die Unterstützung derselben kann das Ritual nicht durchgeführt werden. Beide kauen zudem unaufhörlich Mingulpa, ein Kraut, das Halluzinationen erzeugt.
Schließlich graut der Morgen. Woturpa leitet seinen
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