0840 - Siegel der Rache
langsam zur Bürotür. Irgendwie hatte Roi auch mit keiner anderen Reaktion Serous gerechnet. Dennoch war er nun irgendwie enttäuscht.
»Roi?«
Der Arzt drehte sich noch einmal um.
»Ich werde das veranlassen. Sie soll ihre Ruhe bekommen . Und Sie sollten sich auch einmal so langsam Gedanken über den Ruhestand machen. Ist nur so eine Anregung von mir. Guten Tag noch.«
Doktor Roi zog die Bürotür hinter sich zu. Serou war wieder alleine. Das war eine Hiobsbotschaft, doch im Grunde war ja alles zwischen ihm und Veronique gesagt. Die letzten beiden Coups von V Voleurs waren in allen Details geplant. Serou brauchte-Veroniques Meisterhirn nun nicht mehr. Sollte sie also verrecken, dieses alte Miststück, das immer mit Verachtung auf ihn herabgesehen hatte.
Veronique Brassens - einst Frankreichs größte Kriminologin, gefeiert und mit Auszeichnungen überhäuft. Brassens, die Unfehlbare. Brassens, das Genie, Autorin von Bestsellern und Ehrendoktor von Universitäten auf allen Kontinenten.
Ihre ganz große Liebe gehörte dem Leben und Wirken einer Person, die in Frankreich wohl jedes Kind kannte: Eugène François Vidocq, Dieb, Raufbold, Frauenheld - Ausbrecherkönig und Verkleidungskünstler des 18. Jahrhunderts. Irgendwann war Vidocq dann tatsächlich auf die Seite der Polizei gewechselt, hatte dort große Karriere gemacht, gründete die Sûreté Nationale, eine Spezialabteilung, in der er revolutionäre Neuheiten einführte, die heute nicht mehr wegzudenken waren: Anwendung von Ballistik und Gründung einer Fingerabdruckdatei, Spurensicherung am Tatort und vieles mehr.
Doch Veronique war geradezu besessen von der Jugend- und Gaunerzeit Vidocqs. Ihre Bücher über ihn, den auch Victor Hugo in seinem Werk »Die Elenden« als Vorbild für seine Protagonisten - den guten wie den bösen Part der Geschichte - genommen hatte, wurden in aller Welt gerühmt.
Niemand bemerkte, wie Veronique langsam aber unaufhaltsam in eine Gedankenwelt abdriftete, die lange vergangen war. Niemand, nicht einmal ihr Ehemann.
Dann, vor nun beinahe zwanzig Jahren, war eines Morgens die Reinmachefrau zum Haus der Brassens gekommen. Sie hatte sich gewundert, warum der Citroën von Veroniques Mann in der Auffahrt zum Haus stand, denn um diese Zeit brachte Monsieur Brassens immer die beiden Söhne zur Schule. Als sie die Tür aufschloss, da fand sie die Leichen der drei männlichen Eamihenmitglieder im Wohnzimmer. Jeder von ihnen war mit unzähligen Messerstichen übersät.
Veronique Brassens wurde wenige Stunden danach verhaftet, als sie gerade auf dem Weg von ihrem Verleger zurück nach Hause war. Sie zögerte keine Sekunde, die drei Morde zu gestehen.
Als der Staatsanwalt sie nach ihren Gründen fragte, da sagte sie nur: »Eugène Vidocq und ich waren uns einig, dass es so besser ist. Wissen Sie, dann habe ich doch viel mehr Zeit für ihn… und für unsere Pläne.«
Das Urteil lautete lebenslange Haft und Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt.
Seither war sie hier. Und ihr genialer Geist, in dem alles gespeichert war, was zu perfekten Verbrechen gehörte, lief nach wie vor auf Hochtouren. Sie war hochgradig schizophren, lebte die meiste Zeit in der Welt, in der sie mit Vidocq kommunizieren konnte. Doch sie war nicht minder besessen von Macht, einer Macht, die sie selbst nicht ausleben konnte.
Serou hatte das damals schnell erkannt. So wie er erkannt hatte, dass er bis zu seiner Pensionierung hier den immer gleichen und tumben Dienst verrichten würde. Der Gedanke, diesen Kreislauf durch geniale und lukrative Verbrechen ganz einfach zu unterbrechen, alles auf die Gewinnkarte zu setzen, mit welchen Mitteln auch immer… dieser Gedanke war ihm nach einem langen Gespräch mit der verrückten Veronique gekommen. Alle hier nannten sie so.
Carl Serou wollte ein neues Leben. Das dazu nötige Geld wollte er sich jetzt besorgen.
Es hatte einige Zeit gedauert, bis Carl die perfekten Mitglieder der Voleurs gefunden hatte. Weit hatte er jedoch nicht suchen müssen, denn Mischa, Poul und Rat saßen hier ihre lebenslangen Strafen ab. Brutale Mörder und Vergewaltiger… doch genau das Material, das Carl benötigte.
V Voleurs waren geboren. Nach Veroniques Plänen begingen sie ihre Raubzüge. Nicht lange, dann waren ihre Taten in aller Munde. Der Polizei bereiteten sie Magengeschwüre. Das war es, was Veronique für sich wollte - Genugtuung für sich und ihren imaginären Vidocq.
V stand für Vidocq, nicht etwa für Veronique oder
Weitere Kostenlose Bücher