0841 - Der gläserne Tod
erreicht.
Ich wandere durch die Monolithen. Kälte strömt auf mich ein, eisiger als das Vakuum des Weltalls, und zugleich heißer als die Energie einer Kernspaltung.
Mein Blick wandert über Zeichen, deren bloßer Anblick selbst einen niederen Dämon in ein Häufchen Asche verwandelt hätte. Jeder Mensch wäre augenblicklich zu einem morschen Knochenhaufen zerfallen.
Plötzlich strahlt es um mich herum. Ich sehe Farben, die zuletzt vor dem Urgrund der Schöpfung existiert haben.
Und ich finde das, weswegen ich hier bin. Nun weiß ichwie ich Kelvo finden kann, den Dämon, den ich suche.
***
Der Zwitter löste den Körperkontakt zu Professor Zamorra und Nicole. »In der Bibliothek fand ich das hier.« Er griff in die Tasche seines Jacketts und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor.
Der Meister des Übersinnlichen stand noch völlig unter dem Eindruck des Erlebten. »D… du hast es aus der Geheimbibliothek mitgenommen?«, presste er mühsam hervor.
Die Lippen, die einst Andrew Millings gehört hatten, verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. »Ich habe mich streng an die Vorschriften gehalten«, erwiderte er süffisant. »Wer weiß, wann ich wieder einmal dort ein wenig Recherche betreiben möchte. Ganz und gar erstaunliches Wissen lagert dort.« Er hob das Papier ein wenig höher. »Das ist eine Kopie, die ich selbst angefertigt habe, nachdem ich die Bibliothek verlassen hatte.«
Zamorra nickte hastig. »Dank deiner speziellen Art des… Wissenstransfers hast du uns deutlich gemacht, dass du im Bereich dieser schwarzen Monolithen fündig geworden bist.«
»Sie mitzunehmen, wäre wohl nicht ganz einfach gewesen«, ergänzte Nicole mit einem schwachen Versuch, humorvoll zu sein. Auch sie fand nur mühsam in die Wirklichkeit zurück. »Was waren das für Steine? Und diese Farben? Wenn ich daran denke, wird mir schwindlig.«
Der Zwitter verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich hätte diesen Teil meiner Erinnerungen nicht mit euch teilen dürfen. Der Anblick ist nicht für Menschen bestimmt. Ihr dürft nicht weiter darüber nachdenken.«
»Das sagst du so einfach«, fuhr der Meister des Übersinnlichen auf. »Es war großartig! Überwältigend und Ehrfurcht gebietend!«
»Vergiss es!«, verlangte der Zwitter scharf. »Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein und genauer abwägen, was ich euch zeige und was nicht.«
»Diese Bibliothek«, sagte Nicole. »Wie ist es möglich, dass…«
»Ihr solltet nicht einmal daran denken, dorthin vorzudringen. In den letzten Jahrhunderten war nur ein einziger Mensch dort, und mit ihm hat es kein gutes Ende genommen.«
»Der Priester, von dem du sprachst«, warf der Parapsychologe ein. »Was ist mit ihm?«
»Er ist kein Mensch. Er war es einmal, vor langer Zeit, ehe er während eines Äonenwechsels zum Halbdämon wurde. Zu sechst versehen sie dort ihren Dienst. Ursprünglich waren sie zu siebt gewesen.« Der Zwitter schüttelte den Kopf und entfaltete das Papier. »Doch wir haben anderes zu tun. Auf einem der Monolithen fand ich das hier.«
Zamorra nahm das Blatt aus der Hand ihres Besuchers. Nicole trat neben ihn und sah ihm über die Schultern.
Auf dem Blatt befand sich eine Zeichnung. In einem Halbkreis angeordnete, Zamorra völlig unbekannte Symbole. Darunter etliche Zeichen, die altägyptischen Hieroglyphen ähnelten. Zumindest assoziierte Zamorra die geschwungenen Linien damit.
»Die Zeichnung stellt das Sigill Kelvos dar, das Zeichen, das mit diesem Dämon verknüpft ist. Darunter steht eine Formel. Wer das Sigill bildet und die Formel spricht, zwingt Kelvo, vor ihm zu erscheinen.«
»Du willst Kelvo beschwören?«, fragte Zamorra fassungslos.
»Gibt es eine effektivere Methode, ihn rasch ausfindig zu machen?«
***
Shira kam es so vor, als wandere sie nun schon eine schiere Ewigkeit durch die Kälte der Nacht. Seit der schrecklichen Begegnung mit dem Wüstensprinter setzte sie ziellos eine Tatze vor die andere.
Sie dachte nicht weiter als bis zum nächsten Schritt. Was auch immer kommen mochte - sie freute sich, dass sie noch lebte, dass sie der wütenden und hungrigen Bestie entkommen war.
Irgendwann klärten sich ihre aufgepeitschten Gedanken, ihr Inneres kam zur Ruhe. Die nackte Panik und Angst ließen nach. Erst jetzt bemerkte sie, wie entsetzlich kalt es war. Sie fror stärker als jemals zuvor in ihrem Leben, sehnte sich nach der Geborgenheit ihrer Wohnhöhle. Ihr Atem kondensierte in der Nachtluft vor den Lippen zu feinen
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