0846 - Flucht aus Tilasim
für das, was er zu sein schien: eine Menschenfrau.
Die Vergangenheit war für ihn ausgelöscht, die Gegenwart bestand aus Warten, und die Zukunft bildete Kelvo.
Genau deswegen konnte sich Farga nicht bewusst von ihm zurückziehen, wenn er ihn aufsuchte. Es war unmöglich, dass er etwas nur deswegen tat, um Kelvo zu provozieren. Obwohl er entdeckt zu haben glaubte, dass…
»Meister!«, drang die Stimme des Gefangenen durch die Höhle.
Fast glaubte Kelvo, so etwas wie Freude darin zu hören. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, dann resultierte dieses Gefühl aus der Erleichterung, endlich wieder Abwechslung im eintönigen Dasein zu erleben.
Farga eilte auf ihn zu. Das blonde Haar war im Nacken zusammengebunden. Sie trug die durchsichtige Kleidung, die Kelvo für sie besorgt hatte, nachdem er Farga von seinen Schlangen, die in versteinerter Form seine alte Kleidung gebildet hatten, getrennt hatte.
Für seinen Gefangenen war es so, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Ein weiterer Beweis für die unendliche Macht, die Kelvo über ihn ausübte. Es befriedigte ihn immer wieder, Farga so zu sehen, als willenlosen Knecht, als Marionette.
Kelvo zog die Fäden in seinem Leben, hatte seinen Stolz und seine Unabhängigkeit ausgelöscht. Er hatte dieses mächtige Wesen gebrochen, aus dem so viel hätte werden können! Als Farga hätte es letztendlich die Macht in der Hölle an sich reißen können.
Vielleicht wäre er es gewesen, der sich nach Asmodis auf den Thron gesetzt hätte, und nicht die unsägliche Stygia. Doch Stygia wusste nicht einmal, dass sie es Kelvo verdankte, dass er ihren potentiellen Konkurrenten aus dem Weg geräumt hatte.
Schon in seiner Existenz vor Farga, ehe er mit unbekanntem Ziel in die Hölle aufbrach und dort in Gestalt der Schlangenfrau eine erstaunliche Karriere begann, war er mächtig gewesen. Auserwählt im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Langlebigkeit unterschied ihn von all seinen Artgenossen, er war mehr als nur ein Mensch.
Als der Erbfolger ihn schließlich zur Quelle des Lebens führte, besiegte er seine beiden Konkurrenten und trank vom Wasser des Lebens. Er wurde unsterblich…
Diese in ihm wohnende Kraft des ewigen Lebens teilte er nun unfreiwillig mit Kelvo. Der Schattendämon hatte sofort gespürt, dass er aufgrund seiner besonderen Art der Nahrungsaufnahme fähig war, Farga die Lebenskraft zu entziehen.
»Meine Lebensspenderin«, begrüßte Kelvo ihn, das alte Spiel fortsetzend und sie als Frau behandelnd. »Ich bin gekommen, um von dir zu trinken.«
Farga verneigte sich. »Ich weiß es, Meister.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Ihr seid schneller zurückgekommen als zu anderen Zeiten. Der Wechsel zwischen Wachen und Träumen hat sich diesmal nicht halb so oft vollzogen wie sonst zwischen Euren Besuchen.«
»Hältst du es etwa für nötig, mich darauf hinzuweisen?«, grollte Kelvo. »Glaubst du, mich auf einen Fehler aufmerksam machen zu müssen?«
»Aber nein, Herr«, versicherte sein Gefangener. Der blonde Zopf flog, als er heftig den Kopf schüttelte. »Ich wollte nur…«
»Du rebellierst gegen mich! Wehrst dich gegen den natürlichen Ablauf der Dinge!«
Farga strich sich über die Wange. Er bot ein Bild tiefster Konzentration. »Wer hat diesen Ablauf festgeschrieben?«
Diese Worte versetzten Kelvo einen Schock. Farga stellte Gedankengänge an, die ihm nicht zustanden, zu denen er eigentlich nicht fähig sein durfte. »Wie kommst du darauf, mich so etwas zu fragen?«
»In meinen Träumen…«
»Träume!«, schrie Kelvo. Das war es also! Fargas IJnterbewusstsein gab im Schlaf Erinnerungen frei. »Vergiss sie. Sie sind unwichtig!«
Voller Wut wallte er auf Farga zu, stülpte sich über ihn - und zügelte mit aller Willenskraft seine Gier. Er spürte, dass sich sein Lebensspender wehrte. Zum ersten Mal, seit er sein Sklave war, versuchte er, gegen ihn anzukämpfen.
Farga hatte keine Chance. Kelvo war stärker. Er hätte den Unsterblichen in diesen Sekunden fast getötet, ihn um ein Haar völlig ausgesaugt, ihm die köstliche Flüssigkeit entrissen, wie er es bei all seinen anderen Opfern tat, die er als ausgetrocknete zerbrechliche Hülle zurückgelassen hatte.
Doch er zwang sich zum Maßhalten. Er musste es tun, denn Farga sollte ihm noch für Jahrhunderte und Jahrtausende, für die Ewigkeit, als Quelle der Kraft dienen.
Kelvo entzog dem Unsterblichen nur wenig Blut und nur einen geringen Teil der Flüssigkeit in seinen Körperzellen.
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