0858 - Missgeburt
»Es war ein Frevel, dass Torre Gerret aus meiner Hölle der Unsterblichen befreit wurde. Ein Frevel, der nun getilgt wird. Die Schuld ist bezahlt, meine Ehre wiederhergestellt.«
Satans Ministerpräsident streckte beide Hände aus und formte sie zu einer Kugel. Ein wirbelnder Sog entstand, der jedoch nicht an Zamorra oder irgendwelchen Gegenständen zerrte, sondern nur an der grünlichen Ektoplasma-Erscheinung.
An dem, was von Torre Gerret geblieben war.
Lucifuge Rofocale triumphierte. »Ich habe, was ich wollte… und Zugaben noch obendrein. Wir sehen uns, Zamorra, wir sehen uns.«
Es klang wie eine düstere Prophezeiung. Und genau das war es wohl auch.
Das Ektoplasma sammelte sich in Lucifuge Rofocales Hand, und der Erzdämon verschwand von einer Sekunde auf die andere. Er hatte Torre Gerret, und er führte ihn in die Hölle der Unsterblichen zurück.
***
Zamorra fühlte sich unendlich müde. Alles war schiefgegangen. Die Hölle hatte triumphiert. Er und Nicole waren zu allem Überfluss in dieser Dimension gefangen, über die Zamorra nichts wusste. Er kannte nur ihren Namen - Brakila.
Ein weiteres Problem, mit dem er sich auseinanderzusetzen hatte. Sie mussten einen Weg zurück zur Erde finden, ein Dimensionstor, von dem er nicht einmal wusste, ob es überhaupt existierte.
Gab es in dieser Dimension Lebewesen, die ihm helfen konnten? Die Existenz der Halle sprach dafür. Oder war sie Relikt einer ausgestorbenen Rasse? War sie von Besuchern aufgebaut worden, die längst wieder verschwunden waren?
Der Zwitter hatte sie kraft seiner Magie hierher gebracht. Um einen Rückweg hatte sich der Meister des Übersinnlichen nie Gedanken gemacht. Wann hätte er es auch tun sollen?
Ein Stöhnen riss ihn aus seinen Grübeleien. Er glaubte nicht richtig zu hören. »Du… lebst?«
Der Zwitter - wenn man ihn überhaupt noch so nennen konnte, nachdem der Torre-Gerret-Anteil ihn zweifellos verlassen hatte - öffnete flatternd die Augen. »Nicht mehr… lange. Ich bin allein… so allein. So vieles ist aus mir herausgerissen.«
Zamorra brachte das nächste Wort kaum über die Lippen. »Andrew?« War der, der vor ihm lag, tatsächlich zu hundert Prozent sein verlorener Freund?
Die Gestalt vor ihm reagierte nicht. Oder doch? War es eine Antwort, als sie »Langka« sagte? Was wollte sie ihm mitteilen? Dass es neben Andrew immer noch das Langka gab, das in diesem Körper lebte?
»Nicht mehr… viel Kraft. Danke… euch…«
Zamorra musste sich über die Lippen des Sterbenden beugen, um die Worte überhaupt zu verstehen.
»Gerret ist zuerst gestorben. Nun sterbe ich auch.«
»Vielleicht kann ich dich retten.«
Ein Kopfschütteln, kaum zu erkennen. »Dieser Körper… so gut wie tot. Nur noch… Sekunden.«
Zamorra hätte vor Hilflosigkeit schreien mögen. Er fühlte sich so nutzlos. In diesen entsetzlichen, entscheidenden Augenblicken konnte er nichts tun.
»Berühre… mich. Und auch… Nicole.«
Unwillkürlich gehorchte Zamorra. Im selben Augenblick verschwamm die Umgebung der zerstörten Halle. All die Trümmer lösten sich auf, die Überreste des Skeletts, das nichts als eine Mordmaschine Lucifuge Rofocales gewesen war.
Zum Vorschein kam die Bibliothek im Château Montagne.
***
Zamorra liefen Tränen über die Wangen, als er den erbärmlichen Zustand seines Feindes, Freundes und Retters sah. Der Körper, der einst Andrew Millings gehört hatte, würde nicht mehr lange durchhalten.
So wie die Kleidung mit versetzt worden war, war auch der Metallklumpen um seine Beine in der Bibliothek materialisiert. Offenbar war er so eng mit seinem Körper verschmolzen, dass er als ein Teil davon angesehen werden musste.
»Zu Ende«, murmelte der Teil des Zwitters, der noch am Leben war - und starb.
***
Diesmal erschien Lucifuge Rofocale nicht.
Natürlich nicht. Den magischen Abwehrschirm, der Château Montagne umgab, konnte der Erzdämon nicht überwinden. Dennoch gab es keinen Zweifel daran, dass auch Andrew Millings' Seele ihren vorbestimmten Weg gehen würde.
Lucifuge Rofocale würde sie finden und in seine Hölle der Unsterblichen führen.
Oder? Zamorra dachte halb wehmütig an den Bericht, den Andrew Millings aus seiner Vergangenheit gegeben hatte. Sein Weg zur Quelle des Lebens war ebenfalls ungewöhnlich gewesen - auch er hatte seinen Konkurrenten nicht getötet, ebenso wenig wie Zamorra.
Vor der Quelle selbst waren ungeheuerliche Dinge geschehen; so ungeheuerlich, dass die Mächte des LEBENS und des TODES
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