0870 - Tabitas Trauerhalle
Leiche freuen!
Und wenn er sich freute, dann konnte auch sie jubeln, dann war alles wieder wunderbar, dann gab es einen neuen Kraftstrom, einen Impuls, der in sie hineinschoß und sie wieder für eine Weile stark machte, denn sie freute sich darüber, wenn ER stark wurde.
Sie blieb immer auf der einen Straße. Es war der Weg in die Natur, in die Einsamkeit, in die Gegend der verstreut liegenden Ortschaften mit der besseren Luft. Er führte in die Nähe ihres Ziels, aber kaum ein anderer wußte, was es bedeutete, in diesem Ziel seine Wohnung zu haben. Nur sie und ER.
Der Dunst blieb. Er hing wie lang gespannte Fahnen zwischen den Bäumen. Er krallte sich an und über den Ästen fest. Er war das Versteck für alles, er war… er war…
Etwas störte sie.
Sie fuhr langsamer.
Der Blick in die Spiegel. Das Lächeln auf den Lippen verschwand. Dafür verzerrte sich ihr Mund.
Sie hatte sich nicht getäuscht. Hinter ihr, wenn auch verschwommen, schimmerten zwei blasse Lichter, die wegen der Dunstfahnen fast so wirkten, als wären sie zusammengewachsen.
Also hatte auch der andere angehalten oder war langsamer gefahren. Die Lichter tauchten sogar ab.
Tabita fuhr langsam weiter. Der erste Test hatte ihr nicht gereicht. Sie wollte einen zweiten durchführen und trat das Gaspedal durch. Ihr alter Ford Caravan beschleunigte, die Reifen räumten in einer großen Pfütze auf und schleuderten das Wasser in die Höhe, das sich an den Rändern der Straße wieder verteilte.
Der Blick in den Spiegel!
Die Lichter waren wieder da. Der Verfolger wollte sie nicht aus den Augen lassen.
In Tabitas Hirn begann es zu arbeiten. Bisher hatte sie sich auf sich selbst konzentrieren können und natürlich darauf, was hinter ihr lag. Nun aber mußte sie sich mit einer anderen Situation auseinandersetzen. Ihre Befürchtung war eingetreten. Sie hatte es nicht unbeobachtet geschafft, die Leiche zu stehlen. Sie war von einem Zeugen gesehen worden, und der hatte sich auf ihre Spur gesetzt. Anders konnte es einfach nicht gewesen sein.
Tabita zischte den Atem durch die Nase. Panik bekam sie nicht, nur die Gedanken bewegten sich, und sie stellte sich die Frage, wie sie reagieren sollte.
Weiterfahren bis zum Ziel?
»Nein, das ist nicht gut«, flüsterte sie sich selbst zu. Keiner sollte es finden. Sie brauchte dieses Leben als Einsiedlerin, um mit IHM allein sein zu können. Nur die Toten brachte sie in ihre Trauerhalle, die Lebenden hatten dort nichts zu suchen.
Der Verfolger würde jedoch nicht lockerlassen. Sie ging davon aus, daß in dem anderen Wagen ein Mann saß, und dieser Mann würde wissen wollen, was mit der geraubten Toten geschah.
Tabita schaute auf ihre Hände, die das Lenkrad umklammert hielten. Vor ihr arbeiteten die Wischer mit ihrer ihnen eigenen Monotonie. Der Nebel klebte auf der Straße, er wollte und würde nicht weichen, er war wie ein Schutz.
Ja, Schutz!
Plötzlich rissen ihre Überlegungen ab, denn sie hatte es geschafft, zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Nebel würde ihr den nötigen Schutz bieten können, und sie würde es schaffen, den anderen knallhart zu überraschen. Schließlich war sie eine Frau, und Frauen nahmen Männer im allgemeinen als Gegnerinnen nicht so ernst.
Tabita ging etwas vom Gas, fuhr langsam, aber nicht, um den anderen herbeizulocken, sie tat es um ihrer selbst willen, denn sie suchte nach einem Ort, wo sie ungefährdet stoppen und aussteigen konnte. Die Strecke kannte sie ziemlich gut, aber sie war den Weg zumeist tagsüber gefahren. Im Dunkeln sah alles anders aus, hinzu kam der Dunst, der die Umrisse verschwimmen ließ.
Noch führte der Weg durch die flachen Wälder, nicht mehr lange, dann zweigten einige Wege ab, die auch zu Waldstücken führten. Diese wiederum lagen nicht weit von der Straße entfernt. Sie waren kleine Inseln für Ausflügler, die dort lagerten und hin und wieder picknickten oder grillten.
Die Frau wollte den nächsten Weg nehmen. Sie nickte sich selbst zu, meinte aber IHN damit, denn ER würde sicherlich mit ihrem Tun einverstanden sein, schließlich diente es auch IHM.
Rechts würde sie einbiegen müssen.
Noch langsamer fahren, den anderen aufholen lassen, was der Verfolger jedoch nicht wollte. Er blieb in einem sichern Abstand hinter ihr. Früh genug setzte sie den Blinker. Der andere sollte nur ja alles mitbekommen. Nicht die geringste Kleinigkeit durfte ihm entgehen. Alles mußte perfekt getimt sein.
Der heftige Regen hatte den Asphalt nicht nur naß, den
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