0872 - Die Urbanen
des Physikers.
Ehe er die Besinnung verlor, verfluchte er Laertes lautlos.
***
Der erste Eindruck, den Artimus van Zant wieder voll registrierte, war die Gestalt von Bebop, der auf dem Boden kniete und sich leise fluchend seiné mächtige Nase rieb. Keine Frage - der Knabe war wohl voll auf seinem Riechorgan gelandet… und das musste ganz einfach arg schmerzhaft sein.
Van Zant verbiss sich ein Grinsen, denn viel besser ging es ihm zur Zeit ja auch nicht. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper gab Schmerzalarm. Als er aufstehen wollte, da sackte sein Kreislauf für einen Moment weg. Eine knochige Hand ergriff die seine und zog den Südstaatler scheinbar mühelos in die Höhe.
Laertes' Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert. Artimus konnte sich kaum erinnern, den Vampir mit einem Lächeln auf dem Gesicht gesehen zu haben, doch jetzt schien sich zu dieser Ernsthaftigkeit noch tiefe Trauer zu gesellen. Van Zant ahnte den Grund. Mit ziemlicher Sicherheit würde es ihm nicht anders ergehen, wenn er in seine Heimatstadt käme, von der nichts mehr übrig war als kalter Stein. Fremder Stein… gefräßig und gierig, mordend und machthungrig.
»Dies ist der Triptychon-Palast, den der Savant von Paris so intensiv gezeichnet hat. Hier, so sagte er zumindest, hat er die Wächterin von Uskugen verlassen. Wir müssen suchen, Artimus.«
Der Physiker nickt nur. Aber wo sollten sie damit beginnen? Dieser Palast war gewaltig in seinen Ausmaßen. Dazu kam die Sterilität, das Irritierende der immer gleich aussehenden Räume - das reine Weiß. Das Fehlen eines Bezugspunktes wirkte verwirrend. Schon nach wenigen Minuten verlor man die Orientierung, wusste nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, von wo man gekommen war, oder ob man sich nicht im Kreis bewegte - und das innerhalb eines Gebäudes.
Die Anwesenheit Bebops erwies sich als riesiger Vorteil.
Der Krieger schritt zielsicher voran. Artimus und Laertes mussten sich nur an ihm orientieren. Wie machte er das nur? Schnell hatte sich van Zant dafür eine Theorie zurechtgelegt: Immer der Nase nach…
Jedes Lachen blieb ihm jedoch wie ein Kloß im Hals stecken, wenn er in Laertes' Gesicht blickte. Zudem war da immer die Anspannung, das Damoklesschwert, dass die Urbanen sie sicher bereits in der Stadt suchten. In der Stadt… von diesem Denken musste van Zant sich hier verabschieden, denn die Stadt war diese Welt - oder diese Welt war nur Stadt. Das konnte man nehmen wie man wollte, es stimmte ja beides. Und beides machte Artimus Angst.
Trotz Bebops Bemühungen fanden sie nicht, was sie suchten. Doch irgendwann ohne Vorwarnung stoppte Laertes seinen Gang. Er hob Stille gebietend beide Hände, denn in Artimus' Augen standen große Fragezeichen.
Lange Sekunden vergingen, dann entspannte sich die Gestalt des Vampirs ein wenig.
»Ich höre das leise Singen eines Windspiels. Keine Zweifel. Doch das kann nur bedeuten, dass dieser Palast tatsächlich nicht so leer und kahl ist, wie er es uns glauben lassen möchte. Folgt mir, aber möglichst geräuschlos. Ich muss meine Ohren spitzen.«
Offenbar hatte das Gehör Laertes' die Qualität von Bebops Nase… und van Zant fragte sich nicht zum ersten Mal, woher er eigentlich noch diesen Resthumor nahm. Doch wahrscheinlich wurde es wirklich erst hoffnungslos für ihn, wenn ihm der auch noch abhanden kommen sollte.
Erstaunlich sicher durchquerte Laertes die nächsten Räume, bog in den breiten Korridoren ohne zu zögern ab - links, rechts… als liefe er plötzlich wie auf Schienen.
Bebop lief direkt neben van Zant. Ohne Lärm zu veranstalten schnüffelte er wie ein Jagdhund in die Luft. Dann nickte er zustimmend. Nun schien auch er so etwas wie eine Witterung aufgenommen zu haben. Artimus kam sich direkt nutzlos vor, wie ein Anhängsel ohne sonderlichen Wert.
Doch gleich darauf reichten ihm seine zwei gesunden Augen völlig aus, um zu erkennen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Der nächste Raum war durch einen weit ausladenden Durchgang zu erreichen. Was Artimus sah, das war wie ein Blick in eines dieser uralten Märchenbücher, die man heute nur noch in Antiquariaten erstehen konnte.
Und der Titel dieses Buches konnte nur lauten: Märchen aus 1001er Nacht.
***
Der ganze Raum war in einem Nachtblau gehalten, das in Artimus' Augen einfach nur einladend und anheimelnd wirkte. Die Farbe setzte sich auch in den Vorhängen und der Wandbespannung fort, die aus wertvollen Stoffen bestand. Durch das Panoramafenster hindurch war eine Art
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